Vor 111 Jahren gründete der dänische Bootsbauer, Schiffbauingenieur und Konstrukteur Henry Rasmussen gemeinsam mit seinem Kollegen Georg Abeking eine Yacht- und Bootswerft in der Nähe von Bremen an der Weser. Die Geschichte hätte auch anders verlaufen können, wenn Rasmussen, wie eigentlich geplant, stattdessen nach Amerika ausgewandert wäre.
Abeking & Rasmussen, diese Name Steht wie nur wenige andere für elegante Und höchstwertige Yachten, einst wie jetzt. Es begann in einer Zeit, in der es noch ganz normal war, dass Boote einzeln, von Hand und meist aus Holz gebaut wurden. Bei A&R waren es Piraten- oder Olympiajollen, Yachten der Meter-Klassen, Schärenkreuzer, Seefahrtkreuzer und Schoner. Später wurden die Yachten noch größer und auch schon mal aus Stahl oder, noch später, Aluminium angefertigt. Dann kam die Zeit der industriell produzierten Plastikyachten. Liebevoll von Hand aus Holz gebaute Boote wurden zu einer vom Aussterben bedrohten Spezies, zu Raritäten, was bis heute so geblieben ist. Auf den Serienbau- Zug aus Plastik jedenfalls sprang A&R niemals auf; bis heute werden dort ausschließlich einzeln angefertigte Yachten und Schiffe gebaut. Megayachten sind es jetzt und Spezialschiffe, wie Lotsenboote, Seenotrettungskreuzer oder Marineboote. Dazu musste man sich hier auch das Wissen um den modernen Kompositbau aus speziellen Fasern und Kunststoffen aneignen, aber das machte man sich auch zunutze, indem auf der Werft eine Zeit lang Rotorblätter für Windkraftwerke gebaut wurden; erst als dieses Geschäft ein beachtliches Ausmaß annahm, konzentrierte man sich lieber wieder auf die Kernkompetenz Schiffbau. Kurzum: Es geht bei A&R immer um hochwertigen Einzelbau. Dass diese legendäre Werft ausgerechnet in Lemwerder an der Weser groß wurde, ist eigentlich eher ein Zufall – es hätte ebenso gut in den USA oder Dänemark sein können. Wo Henry Rasmussen tatsächlich einige Jahre lang eine Dependance von A&R unterhielt.
Es begann am lieblichen Svendborgsund, wo Firmengründer Henry Rasmussen 1877 geboren wurde und aufwuchs, in einer Bootsbauer-Familie. »Ich hatte eine schöne Kindheit voller Romantik«, mit diesen Worten beginnt seine Autobiografie (Zitate aus: »Yachten, Segler und eine Werft«). Eine schöne Kindheit, das kann man sich hier auch heute noch gut vorstellen, wenn man den herrlichen Sund entlangsegelt oder an den bewaldeten Ufern spazieren geht. »Mein Elternhaus lag wenige Schritte vom Wald entfernt, und so weit das Auge reichte, sah man, abgesehen von Wald und Meer, nur Kornfelder mit Höfen und Gütern. … Die Werft meiner Vorfahren lag ganz idyllisch direkt am Sund in Svendborg. Man brauchte nur den Wald zu durchqueren, um von unserem Haus nach dort zu kommen; und so bin ich als ganz kleiner Knirps unendlich viele Male diesen Weg mit meinem Vater getippelt.« So wurde ihm sein Werdegang praktisch in die Wiege gelegt. Natürlich war so eine Bootswerft der reine Abenteuerspielplatz für einen heranwachsenden Jungen: »Ja, was gab es auf der Werft alles für uns zu tun! In erster Linie war die Steamkiste zu bedienen, das war für uns immer ein Hauptspaß. Die Steamkiste war ein großer hölzerner Kasten, in dem die Außenhautplanken gedämpft wurden, um sich besser biegen zu lassen. Den Dampf für dieses Unternehmen lieferte ein Dampfkessel, den wir bedienen durften. Unser Spaß lag darin, den Kessel so zu heizen, dass das Sicherheitsventil anfing zu blasen.«
Seine Lehrzeit begann er, wie hätte es auch anders sein können, bei seinem Opa. »Großvater war in allem mein bester Freund und Berater. Ich habe tüchtig unter seiner Leitung gelernt, nicht nur in meinem Fach das Handwerkliche, sondern auch in allen anderen Dingen, die für mein späteres Leben von sehr großem Nutzen gewesen sind. … Er lehrte mich, mein Werkzeug zu behandeln, wie man es zu schleifen und zu halten hatte … Ich lernte auf unseren Wanderungen durch die Wälder, die Bäume auf dem Stamm auf Brauchbarkeit zu beurteilen und wie sie zu schlagen und auf welchem Wege aus dem Wald herauszubekommen waren.« Und weiter: »Meine Begeisterung für die Segelei konnte natürlich nicht ausbleiben, denn ich hörte ja kaum etwas anderes. Yachtbau und Segelei waren bei uns das tägliche Gespräch, und ob morgens, mittags oder abends, gesegelt wurde natürlich in jeder freien Stunde, und stets versuchte man irgendeinen zu finden, mit dem man anliegen konnte. Und wenn in Svendborg die großen Kopenhagener Regatten abgehalten wurden, fehlte natürlich keiner von uns; entweder waren wir mit unseren eigenen Booten dabei, oder aber wir segelten mit einem von unseren Bauten.« Das klingt wirklich nach einer glücklichen und unbeschwerten Kindheit und Jugend. Seine Lehre setzte Rasmussen auf der Werft von Hansen in Odense fort, einem damals berühmten Erbauer und Konstrukteur von schnellen Seglern. Bei ihm ließen sich viele Tricks und Kniffe im anspruchsvollen Holzbootsbau erlernen. »Bei hochwertigen Schiffen, zum Beispiel Zollkreuzern«, schrieb Rasmussen, »wurden die Außenhautplanken nicht gleich verbolzt, sondern nur provisorisch befestigt und, nachdem sie ausgetrocknet waren, wieder neu zusammengepasst. Diese Art zu bauen war teuer und aufwendig, sicherte aber eine besonders gute Außenhaut.« Von Odense aus wechselte Rasmussen dann noch zur Werft Burmeister & Wain in Kopenhagen, um Eisenschiffbau zu lernen. Nach Beendigung eines Studiums an der Schiffbauakademie ging er zunächst zu B&W zurück. Seine Stelle als Assistent des Direktors gab er jedoch auf, um »mit einem meiner früheren Freunde von Hansen in Odense nach Amerika auszuwandern, um mich wieder im Holzschiffbau zu betätigen. Es sollte aber alles ganz anders kommen!« Denn kurz vor seiner Abreise erhielt er den Brief eines alten Kollegen von Burmeister & Wain, der inzwischen nach Deutschland gegangen und bei der Werft Schömer & Jensen in Tönning angestellt war. »Er bat mich, nach dort zu kommen, um ihm zu helfen, da der Betrieb nicht so funktionierte, wie er sich das gedacht habe. Durch die Abneigung meiner Mutter gegen meine Auswanderung nach Amerika wurde ich beeinflusst, nach Deutschland zu gehen – es wird auch wohl vom Schicksal bestimmt gewesen sein –, und so landete ich in Deutschland.«
Alle Liebhaber klassischer A&R-Yachten dürfen also der alten Dame Rasmussen dankbar sein, die ihren Sohn nicht ganz bis nach Amerika ziehen lassen mochte. Starke und fruchtbare Verbindungen nach Amerika baute Henry Rasmussen später dennoch auf, und um ein Haar hätte er dann auch doch noch eine Werft dort drüben eröffnet: Heftige Einfuhrzölle auf Yachten aus Europa führten zu dieser Überlegung, doch sprachen andere Umstände dagegen. Noch war es nicht so weit, Rasmussen war ja gerade erst in Deutschland angekommen. Gut angekommen, offenbar, denn: »Als ich damals bei Schömer & Jensen tätig war, bekam ich vom Bremer Vulkan einen Brief, ob ich nicht Lust hätte, nach Vegesack zu kommen.« Das war um 1900, und damals war Bremen ein bedeutendes Schiffbauzentrum und eine reiche Hansestadt, in der es genug Bürger gab, die sich den damals noch elitären Segelsport leisten konnten. So war es nicht verwunderlich, dass Henry Rasmussen bald eine Reihe von Seglern kennenlernte und sein in Dänemark erlerntes Wissen im Bootsbau beweisen konnte: »Meine erste Konstruktion war eine 6-Segellängen- Yacht für Hilken und Schelle. Das war damals ein großes Ereignis für Vegesack, und es dauerte einen ganzen Winter, bis alles beschnackt und beklönt war. Da der Vater von Herrn Hilken damals noch lebte und in Vegesack eine Segelmacherei betrieb, nebenbei war er Schiffsreeder, wurden die ganzen Besprechungen in seinem Büro und auf dem Segelboden abgehalten. An vielen Abenden haben wir dort bis spät in die Nacht hinein gesessen, und wenn es gar zu spät wurde, erschien der alte Herr, um zu sehen, ob wir wirklich noch arbeiteten oder uns an seinen Weinflaschen und Zigarren erlabten. Endlich waren wir aber so weit, und es konnte mit dem Bau begonnen werden. Dies geschah bei unserem gemeinsamen Freund Onkel Fidi Lürssen, der damals in Vegesack die einzige Werft besaß, die für den Bau einer solchen Yacht infrage kam …«. Aber nicht nur war Rasmussen zeitlebens mit der Familie Lürssen befreundet, die ja bald sozusagen Werftnachbarn wurden, in Bremen lernte er auch den großen Konstrukteur Max Oertz kennen. Denn der hatte die erste Zeit seiner Jugend in Bremen bei Lürssen verbracht und ebenfalls immer noch Kontakt dorthin. Damals jedoch war Lürssen nicht vom Yachtbau überzeugt, wie Rasmussen berichtet: »Onkel Fidi hatte im Yachtbau ein Haar gefunden. Die Yachten würden, wie er sagte, nie fertig, und immer hätten die Segler etwas zu quaken.«
Henry Rasmussen hatte diese Vorbehalte offenbar nicht: »Es war im Sommer 1907, als wir uns entschlossen, eine Yachtund Bootswerft zu gründen.« Wir, das waren Rasmussen und sein Arbeitskollege von früheren beruflichen Stationen auf der Vulkan-Werft und einer Werft in Emden, Georg Abeking. Ursprünglich sollte die Werft an der Ostsee entstehen, aber die Verhandlungen mit den Behörden dort erwiesen sich als langwierig. Also wandten sie sich an die Oldenburgische Landesregierung, wo der Großherzog offenbar einiges Interesse an der geplanten Werft zeigte – schon im Herbst 1907 konnten die beiden Schiffbauer mit den ersten Arbeiten für den Werftausbau in Lemwerder an der Weser beginnen. Das erste A&R-Boot wurde 1908 gebaut, ein Arbeitsboot für die Werft selbst, es folgten in diesem Jahr aber schon weitere 15 Neubauten: verschiedene Jollen, aber auch bereits die 7mRYacht Albert für August Denker aus Bremen und die Sonderklasseyacht Jenny für einen Herrn Mendelsohn aus Berlin. Das erste Geschäft jedoch brachte das Winterlager ein. Henry Rasmussen schreibt: »Als die Werft im Herbst in Angriff genommen wurde, war das Erste, was fertiggestellt werden musste, die Überwinterungshalle, da sich bereits im Laufe des Spätsommers eine Reihe von Yachten angemeldet hatte. Eine gute Überwinterungsmöglichkeit gab es damals an der Weser noch nicht. Die Überwinterungshalle erwies sich jedoch im ersten Jahr bereits als zu klein und musste schon das Jahr darauf vergrößert werden.« Ein überaus geglückter Start.
Und es ging weiterhin steil bergauf, denn die Werftgründung fiel in eine Zeit, als der Segelsport einen enormen Aufschwung nahm. Und das Glück war auch hier mit dem Tüchtigen, denn Rasmussen erwarb sich schon in den ersten Jahren einen großartigen Ruf. Er verstand es, schnelle Boote zu konstruieren, diese Boote in unvergleichlicher handwerklicher Qualität zu bauen und sie schließlich auf Regatten auch noch erfolgreich zu steuern. Während Henry Rasmussen im Winter vornehmlich mit der Konstruktion und dem Bau neuer Yachten beschäftigt blieb, war der Sommer der Segelei, dem Gewinnen von Preisen und der Akquisition von Aufträgen vorbehalten. Dabei wurde die gesamte deutsche Segelprominenz bei dem Yachtbauer an der Weser vorstellig, bis hin zu Prinz Heinrich von Preußen, dem Bruder des deutschen Kaisers, Wilhelm. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zum Tode des segelbegeisterten Prinzen im Jahre 1929 hielt.
Vorher überstanden Henry Rasmussen und seine erfolgreiche Werft den Ersten Weltkrieg und die Revolution in Deutschland. Aufträge der Kaiserlichen Kriegsmarine hielten das Unternehmen gut beschäftigt, während etliche der Bootsbauer an die Front mussten. Rasmussen konnte sogar weiterhin segeln: »Da wir im ersten Krieg nicht unter feindlichen Fliegerangriffen zu leiden hatten und auch keine Minen zu fürchten brauchten, konnten wir mit Kind und Kegel die Segelei voll genießen und ausnutzen.« Wirkliche Probleme brachten erst das Kriegsende und die Novemberrevolution, denn nun gab es weder Marineaufträge noch private Kunden. Dass sich in diesen schwierigen Zeiten auch noch Georg Abeking aus dem Geschäft zurückzog und ausbezahlt werden musste, machte die Lage nicht einfacher. Allerdings hatte die Werft noch zwei Aufträge aus dem Jahr 1914 über je einen großen Tourenkreuzer mit Hilfsmotor. Beide Schiffe wurden dann aber, als sie fertig waren, ins Ausland verkauft, eines nach England, das andere nach Amerika. Und schon 1919 gab es wieder private Neubauaufträge. Unter ihnen waren auch zwei Starboote (vergl. Seite 122 in diesem Heft), die ersten Exemplare in Europa dieser neuen Regattaklasse aus den USA. Ab 1920 segelte Rasmussen in den Sommern regelmäßig in seine alte Heimat Svendborg. Die Werft war trotz der galoppierenden Inflation schon wieder einigermaßen in Schwung. Die Preise für die meisten Boote und Yachten konnten in Gold oder Dollar festgelegt werden, und im November 1923 war die Inflation zu Ende. In diesem Jahr leistete sich Rasmussen auch sein eigenes Schiff. Das war die 16,7 Meter lange Tourenyacht AR. Von der ersten Reise mit der AR nach Svendborg im Jahre 1924 berichtet Rasmussen ausführlich, auch von dem 14-tägigen Aufenthalt dort: »Aber Langeweile gab es nicht. Morgens wurde reinegemacht, gescheuert, geputzt und gefegt, und nachmittags gab’s Geselligkeit, hatte Kapitän Henry doch viele Verwandte und Bekannte in der Stadt.« Stolz wurde das Schiff vorgeführt, selbst der dänische König soll es sich ausgiebig angesehen haben.
1925 baute A&R wieder die ersten Boote nach dem Krieg für die USA, vier Rennyachten für Segler in Boston. Das war der Auftakt für viele weitere Bauten und die zukünftig besten Beziehungen der Werft nach Amerika. Über 1926 berichtet Rasmussen nur: »Dieses Jahr war noch katastrophaler. Wir hatten im Ganzen nur 34 Aufträge. Sieben der Klassenyachten waren für den Königlich Englischen Yachtclub auf den Bermudas bestimmt. Mit der Lieferung dieser Boote haben wir uns nicht nur auf den Bermudas, sondern auch in New York einen guten Ruf erworben. Als ich in diesem Jahr den Vorsitzenden des NYYC in New York traf, war er des Lobes voll und hatte das auch allen New Yorker Freunden erzählt, sodass es für mich immer leichter wurde, Aufträge zu erhalten.« So baute A&R allein in den Jahren 1927 und 1928 insgesamt 14 10mR-Yachten und 6 12mR-Yachten für Mitglieder des NYYC. Darunter auch den 12er Onawa für einen gewissen Herrn Bertie Charles Forbes aus New York, den Gründer, Verleger und Chefredakteur des berühmten Forbes Magazins. Dieser 12er steht aktuell durch »Baum & König« zum Verkauf. In den nun folgenden Jahren fuhr Rasmussen immer häufiger mit dem Dampfer in die USA und blieb auch immer länger dort, wobei er dauerhafte, ebenso freundschaftliche wie ertragreiche Beziehungen aufbaute und neben den besten Seglern auch die führenden Werften und Konstrukteure Amerikas kennenlernte. Allein die Überfahrt mit einem der Dampfer des »Norddeutschen Lloyd« dauerte zehn Tage. In New York schien er schon bestens in den entsprechenden Kreisen eingeführt zu sein: »19. August. Ankunft in New York etwa 10 Uhr. Nachdem der Dampfer festgemacht hatte, bin ich gleich zum Zoll verschwunden. Es wurden keine Schwierigkeiten gemacht und nichts angesehen. Dann bin ich gleich mit dem Auto zum Büro gefahren, habe eine Offerte ausgearbeitet und mir mit Morgan auf der Werft auf Long Island (Brooklyn) den großen Schoner angesehen, der als 3-Mast-Ketsch umgebaut werden sollte. Abends war ich mit Perry zum Abendessen, bin um 10 Uhr im Harvard-Club angekommen, habe zwei Briefe geschrieben und bin dann schlafen gegangen.«
»20. August. Morgens war ich im Büro. Nachmittags bin ich mit der Bahn nach Long Island gefahren, wo ich von Morgan Jr. mit dem Auto abgeholt wurde. Nachmittags war ich mit der Familie Morgan zum Pony-Polo, sehr interessant, dann nach Hause zum Tee, spazieren gegangen. Dinner, dann Unterhaltung bis 11 Uhr, natürlich fast nur über Segelei. Morgan Sr. ist immer noch sehr interessiert und spricht gern von der Segelei. Er erzählte mir auch, wie Gloriana entstand. … Nach zwei Tagen hatte Herreshoff ein Modell fertig, wonach der Vorläufer der Gloriana gebaut wurde und so wunderschön ausfiel, dass Morgan im nächsten Jahr Gloriana in Auftrag gab. Als er mit dem Schiff zum ersten Mal erschien, wurde er gefragt, was vorn und was hinten sei. Darauf antwortete Morgan: Das, was Sie heute während des Rennens sehen werden, ist hinten. Übrigens wurde ich damals, als die Königin herauskam, auch so gefragt, und zwar hatte Max Oertz das in Umlauf gebracht. Später hat er sich dann als Erfinder des Spitzgatthecks ausgegeben.« Die USA wurden für A&R zunehmend wichtiger als Markt für Neubauten. Auch wenn die Bedingungen nicht einfach waren, denn schon damals gab es Schutzzölle, wie Rasmussen 1930 schreibt: »In Amerika bestand ein Zollgesetz, das für alle Yachten über 5 tons einen hohen Zoll vorsah, sofern sie die amerikanischen Gewässer nicht auf eigenem Kiel erreichten. Dies hatten wir bis dahin umgehen können, indem wir die Yachten nach Kanada verfrachteten und von dort nach den Vereinigten Staaten segelten. Nun wurde das mit einem Male anders, da man ein Gesetz eingebracht hatte, dass für alle Yachten, einerlei auf welche Art diese die Staaten erreichten, ein Zoll von 30 % zu erheben sei. Bevor das Gesetz ratifiziert wurde, habe ich alles mögliche versucht, es zu inhibieren. Ich habe mich deswegen mit Herrn Ford in Verbindung gesetzt, auch mit General Motors, aber leider ohne Erfolg. Ich habe damit gedroht, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem auf alle amerikanischen Wagen derselbe Zoll erhoben würde. Ford hat mich allerdings ausgelacht. General Motors dagegen hat den Versuch gemacht, jedoch ohne Erfolg. Nun war guter Rat teuer. Ich habe mir hin und her den Kopf zerbrochen und bin auf allerlei Gedanken gekommen, unter anderem auch darauf, eine Werft in den Staaten aufzumachen.«
Um diesen Plan umzusetzen, nahm er sogar seinen Freund Jasper Morgan mit nach Deutschland und ließ ihn ein halbes Jahr lang auf seiner Werft arbeiten, »um ihn bei mir im Yacht- und Bootsbau gründlich einzuweisen, damit er in der Lage wäre, ein Unternehmen drüben zu leiten.« Allerdings wurde dann daraus nichts, weil, wie Rasmussen schreibt, in den USA keine zuverlässigen und gelernten Arbeitskräfte zur Verfügung standen. »Die Geschichte mit der Werft in Amerika hat sich dann zerschlagen und die großen Lieferungen für Amerika auch, nur einzelne Aufträge auf größere Yachten, die dann auf Umwegen nach den Staaten kamen, wurden getätigt.« Allerdings, die Kontakte nach »drüben« hielten und waren vor allem gleich nach dem Zweiten Weltkrieg enorm wichtig. Legendär ist die Geschichte der »Concordias«, wunderhübsche, von Raymond Hunt gezeichnete 12-Meter-Yawls, die in den 1950er-Jahren bei A&R praktisch »in Serie« gebaut und zum weiteren Ausbau in die USA verschifft wurden. Zwischen 1949 und 1966 lieferte A&R immerhin 99 dieser Klassiker nach Amerika. Rasmussens amerikanische Affinität war natürlich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hilfreich: Schon 1946 konnte die Werft wieder starten und private Yachten, zunächst für Amerikaner und Engländer, bald aber auch wieder für deutsche Eigner bauen. Und wenn es mit einer Werft in den USA schon nicht klappte, bald eröffnete Rasmussen dennoch eine Dependance: ausgerechnet in Wien! 1930 hatten Segler aus Wien ihm vorgeschlagen, eine kleine Werft in Gmunden zu übernehmen. »Die Werft war nur klein, ließ sich aber ganz schön ausbauen und modern aufziehen«, befand Rasmussen. »Auf dieser Werft sollten kleine Objekte gebaut werden, Segelyachten und Motorboote von der Größe, wie sie dort auf den Seen gebraucht wurden. Bei guter Leitung konnte die Werft von Überwinterungen und Reparaturen existieren, das Risiko war also klein.« So gab es einige Jahre lang eine »Nebenstelle« von A&R in Österreich.
Im Sommer vor Kriegsbeginn, 1939, wurde Rasmussen die Werft von Sophus Weber in Svendborg zum Kauf angeboten. Der hatte auch bei Rasmussens Großvater gelernt und war ein alter Freund der Familie, vor allem aber hatte Vater Jens Rasmussen diese Werft bis zu seinem Tode betrieben. Henry Rasmussen konnte dieses Angebot also wirklich nicht ausschlagen, doch der Kauf war nicht einfach. Erst 1940 waren die notwendigen Formalitäten geschafft, und Henry Rasmussen unterschrieb den Kaufvertrag. »Es war nicht meine Absicht, ein großes Unternehmen daraus zu machen. Ich wollte ja in der Hauptsache nur Yachten bauen und eine erstklassige Überwinterungsanlage schaffen.« Tatsächlich aber investierte Rasmussen wohl erheblich in die Modernisierung und den Ausbau der Werft, die bald eine Belegschaft von 100 Mann hatte. In den wenigen Jahren des Bestehens dieser Werft wurden dort 359 Boote gebaut, »hauptsächlich kleinere Boote wie B-Jollen, Olympiajollen, Piratenjollen, Segeljollen für die Reederei Laeisz, Essberger und Horn, kleine Motorboote für alle möglichen Behörden, Rettungsboote für die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Auch unser Winterlager war bis zum letzten Platz belegt.« Insgesamt resümierte Rasmussen: »In der Zeit von der Übernahme bis zur Kapitulation haben wir eine wunderschöne Zeit verlebt, haben vieles geschaffen zur Freude unserer Angestellten, unserer Kundschaft und aller derjenigen, die für die Werft arbeiten und liefern konnten.« Umso härter traf es ihn, als der dänische Staat ihn, den gebürtigen Dänen, bei Kriegsende enteignete und diese Werft seiner Vorfahren anderweitig verkaufte. Dafür ging es, nachdem die schlimmsten Nachkriegswirren des Jahres 1945 überstanden waren, mit der Werft in Lemwerder sehr bald wieder aufwärts. Ab 1950, auch mit den erwähnten Concordia Yawls, begann bei A&R das eigene Wirtschaftswunder. Als Henry Rasmussen am 2. Juni 1959 starb, hinterließ er eine weltberühmte, blühende Werft, die bereits seit einiger Zeit von seinem Enkel Hermann Schaedla geleitet wurde. Heute hat sein Urenkel, Hans Schaedla, das Ruder fest in der Hand.
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Text: Detlef Jens. Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 28