Die Karriere des Johan August Anker als Yachtkonstrukteur
klingt geradezu märchenhaft. Vor allem, weil darin auch Prinzen und Drachen vorkommen…
Es war einmal ein Yachtkonstrukteur, der hielt eigentlich gar nichts von Einheitsklassen. Dennoch entwarf er die erste offizielle Einheits-Kielbootklasse der Welt, die »Königsklasse« obendrein und den »Bugatti zur See«; kurz: den Drachen. Ihr Konstrukteur, der Norweger Johan August Anker, war ein Fan der eleganten Meter-Yachten, kostspieligen Konstruktionsklassen, in denen sich Konstrukteure und Werften verwirklichen konnten. Ein Jahr vor der Geburt des Drachen hatte er noch die olympischen Segelregatten von 1928 in den Niederlanden gewonnen, auf der 6-Meter-R-Yacht Norna mit dem norwegischen Kronprinz Olav als Crewmitglied. Nicht ahnend, dass sein anfangs eher ungeliebtes Kind auch einmal eine olympische Klasse sein würde; und eben eine »Königsklasse« obendrein, in der auffällig viele blaublütige Segler an den Start gingen und es immer noch tun.
Dabei sollte der Drachen ursprünglich das ganze Gegenteil dessen werden, nämlich ein preiswertes Jugendboot für die Sprösslinge reicher Yachtsegler. Johan Anker (1871–1940) kam aus einer wohlhabenden Familie aus Halden, Südnorwegen. Er war charmant und eloquent und hatte stets die besten Verbindungen zu den Mitgliedern der königlichen Familie, zu Reedern, Politikern und Industriellen.
Sein Vater hatte das Familienvermögen in der Forstwirtschaft gemacht, war aber auch ein leidenschaftlicher Segler und gehörte 1883 zu den Gründungsmitgliedern des Königlich Norwegischen Segelclubs – KNS (Kongelig Norsk Seilforening). Außerdem entwarf er, als Hobby, in seiner Freizeit Yachten. Der Stammsitz der Familie befand sich auf einem Landgut bei Halden, nahe der schwedischen Grenze, doch seit Johan August Anker 14 Jahre alt war, verbrachte die Familie jeden Sommer auf ihrem Sommersitz auf der Insel Søndre Sandøy, die zur Hvalergold-Gruppe südlich des Oslofjords gehört. Fast die ganze Familie segelte begeistert; spätestens hier wird sich Johans Leidenschaft für das Segeln und für Yachten entwickelt haben.
Er war Konstrukteur und aktiver Regattasegler
Eigentlich sollte er das Familiengeschäft übernehmen, doch Johan wollte Ingenieur werden und studierte, von 1891 bis 1893, zunächst in Kristiania (dem heutigen Oslo) und später auch an der Technischen Universität in Berlin-Charlottenburg. Seine Hauptfächer waren Yachtkonstruktion und Yachtbau, dennoch trat er nach seinem Diplom zunächst in das Unternehmen seines Vaters ein. 1898, der damals 27-Jährige hatte sich ein Bein gebrochen und musste deshalb zuhause bleiben, entwarf er endlich seine erste Yacht, die Brand, schon mit einem kurzen Kiel und separatem Ruder, wie es in jenen Jahren üblich war. Erst mit der Universal Rule und der daraus entwickelten International Rule, nach der die Meterklasse-Yachten entstanden sind und immer noch entstehen, ging die Entwicklung vorübergehend zurück zu Yachten mit längeren Kielen und daran angehängten Rudern.
Mit diesem Boot ersegelte Anker sich die ersten Regattaerfolge. 1905 war es dann so weit, dass er sich ganz und gar dem Segeln und der Yachtkonstruktion widmen konnte. In diesem Jahr kaufte Johan sich in die Werft von Christian Jensen ein und stürzte sich sogleich in die Arbeit. In den folgenden Jahren wurde die Werft Anker & Jensen am Oslofjord weltberühmt. Ankers Ehe hingegen war weniger glücklich und wurde vor allem durch die drei Söhne, Christian, Carsten und Erik, noch zusammengehalten. 1907, die Kinder waren zehn, sieben und vier Jahre alt, trennten sich Julie und Johan Anker – er hatte sich in Nini Roll Anker verliebt, die er im Januar 1910 heiratete. Nini war eine Schriftstellerin und war zuvor mit seinem Cousin Peter Martin Anker verheiratet. Nini und Johan lebten nahe bei der Werft in dem noblen Vorort Asker am Oslofjord und sie gab seinem Leben als reicher und angesehener Werftbesitzer und Konstrukteur eine neue Dimension. Nini war politisch sehr engagiert, als Liberale ebenso wie als Pazifistin. Ihren literarischen Durchbruch hatte sie schon 1909 erlebt. Während des Ersten Weltkrieges hielt sie sich zeitweise in Paris auf, auch war sie stellvertretende Vorsitzende des norwegischen Schriftstellerverbandes.
Dank seines Familienvermögens konnte Anker sich mehrere Yachten auf der Werft nach seinen eigenen Entwürfen bauen lassen und mit Hilfe seiner Regattaerfolge, die Schlag auf Schlag kamen, wurde die Werft bald berühmt und erfolgreich. Seine eigenen Boote waren Brand II, die 1906 den Kattegat Cup gewann und ihm einen Namen machte – der Kattegat Cup war eine Art »skandinavischer America’s Cup«, eine Herausforderung zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen, und wurde entsprechend wichtig genommen. Die Brand III, entworfen nach der gerade neu eingesetzten International Rule von 1906, war sein erster 8er und gewann den Kattegat Cup 1907. 1908 steuerte Anker den 8er Fram bei der Olympiade in Großbritannien auf den vierten Platz. Sein größter olympischer Erfolg gelang ihm vier Jahre später, 1912in Stockholm, wo er mit seinem 12er Magda X die Goldmedaille für Norwegen ersegelte. Der eigene 12er, das war einer der Träume, die Anker sich erfüllen konnte. Zuerst mit der Brand IV, die er 1909 zur Kieler Woche brachte. Dort segelte er so gut, dass er schon nach vier Tagen in der Gesamtwertung nach berechneter Zeit vorn lag – noch vor der mächtigen Meteor des Kaisers. Der war einerseits beeindruckt, andererseits wohl auch verstimmt. »Sie fahren ja wie ein Dampfer!«, soll Wilhelm II. dem Norweger gesagt haben, als sie sich einmal kurz an Land trafen. Und dabei stand Ankers größter internationaler Erfolg noch bevor: 1911 segelte er seinen dritten eigenen 12er, die Rollo, nach Cowes und dort die starke britische Konkurrenz und die Yachten von Fife und Kollegen in Grund und Boden. Der Präsident des Royal Yacht Squadron, ganz Sports- und Gentleman, sagte damals: »Das nenne ich Sport. Die haben ihr Boot selbst gebaut, es über die Nordsee hierhergesegelt, mit ihrer eigenen Mannschaft, und dann fast alle ersten Preise gewonnen!«
Anker galt zu Recht als einer der besten Steuerleute seiner Zeit
Da er schon durch seine Familie und Herkunft in den entsprechenden Kreisen verkehrte, wurde er auch bald zum seglerischen Mentor des Kronprinzen Olav. Die beiden verband bald eine echte Freundschaft und diese enge Verbindung zur königlichen Familie bescherte ihm Ansehen und geschäftlichen Erfolg. Und auch als Konstrukteur war er hoch geschätzt. Man nannte ihn den »Meister der Linien«, weil ihm die Ästhetik seiner Boote fast wichtiger war als die reine Geschwindigkeit der Yachten – undenkbar, dass er, in einem anderen Zeitalter, beulige und kantige Formelschinder entworfen hätte, die zwar hässlich, aber auf der Regattabahn vielleicht erfolgreich gewesen wären. Ihm kam zugute, dass die Meter-Formel, die er so sehr liebte, zu seiner Zeit elegante Yachten hervorbrachte – ganz nach der alten Weisheit: »Was gut aussieht, segelt auch gut!«
So gesehen war ausgerechnet der Drachen, obwohl von unbestreitbarer Eleganz, nicht wirklich ein typischer Anker-Entwurf. Ursprünglich war der Drachen schwer und eher untertakelt, denn es sollte ein sicheres Boot für die Jugend sein. Der Mast stand rund 40 Zentimeter weiter achtern als heute. So hatte das Boot bei viel Brise eine stark ausgeprägte Luvgierigkeit, in einer schweren Bö schoss es einfach in den Wind. Die Segelfläche von Groß und Fock betrug zusammen 20 Quadratmeter (heute sind es, am Wind mit Groß und Genua, 27,7 Quadratmeter, hinzu kommt ein Spinnaker von 23,6 Quadratmeter), zunächst segelte das Boot dann auch unter der Bezeichnung »20er«.
Es war bei einem Lunch mit den einflussreichsten Wirtschaftskapitänen seiner Zeit als Anker die ersten Skizzen des Drachen auf eine Papierserviette malte
Beim Kaffee beklagten die Männer, die allesamt 6-, 8- oder 12-Meter-R-Yachten segelten, dass es kein kleines und sicheres Kielboot gebe, das ihre Söhne auch ohne sie segeln könnten. Es müsse vor allem sehr sicher sein, damit sich die Mütter nicht zu viele Sorgen machten. Anker warf einige Linien auf besagte Serviette und meinte: »Ist es das, was ihr meint?« Der GKSS (Königlich Göteborger Segelclub) hatte im gleichen Jahr, 1928, einen Designwettbewerb ausgelobt, in dem ein erschwingliches Einheitsklassen-Kielboot gesucht wurde, ganz im Sinne der Zeit – die Weltwirtschaft war damals, Ende der Goldenen 20er, alles andere als prosperierend. Ankers Entwurf jedenfalls gewann. Und das, obwohl er sich nicht viel aus Einheitsklassen machte – sie würden die Entwicklung im Design der Segelyachten eher behindern, so seine feste Überzeugung. Dabei hat sich sogar der Drachen selbst im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt.
Vor allem in den 30er Jahren erlebte die Klasse eine stürmische Entwicklung, denn die meisten Boote wurden schon damals zum Regattasegeln genutzt. Die Bauvorschriften waren eher locker abgefasst, auf der Suche nach immer besseren, schnelleren Schiffen entwickelten sich die Boote rasch weiter. Die Kabine wurde verkleinert, die Kojen sowie Pötte und Pfannen flogen von Bord, stattdessen wurden die Trimmmöglichkeiten verbessert. Am Ende der 30er Jahre hatten die aktuellen Drachen kaum noch etwas mit den früheren Booten gemeinsam. 1946 wurden dann noch einmal entscheidende Änderungen eingeführt und die Klassenvorschriften enger gefasst. Der Mast wanderte nach vorn, die Segelfläche wurde vergrößert. Im gleichen Jahr, sechs Jahre nach Johan August Ankers Tod, reiste Peder Lunde, einer der besten Drachensegler Norwegens, nach London und verschaffte der Klasse nicht nur die internationale Anerkennung durch den Weltseglerverband IYRU (heute ISAF), sondern sogar den Status als olympische Klasse. Das hätte vor allem den Regattasegler Anker erfreut und ihn am Ende vielleicht doch noch mit seinem eher ungeliebten, aber berühmten Kind ausgesöhnt.
1939 zeichnete Johan August Anker mit der Design Nr. 434 seine letzte 12-Meter-R-Yacht und seinen vorletzten Entwurf überhaupt – der letzte war Entwurf Nr. 435, eine 8-Meter-R-Yacht. Der Krieg und sein Tod im darauf folgenden Jahr verhinderten es, dass diese Yachten gebaut wurden. Robbe & Berking Classics hat alle Zeichnungen, die Johan August Anker für diesen letzten seiner großen 12er angefertigt hatte, gefunden und hat diese besondere Yacht im Auftrag eines skandinavischen Kunden entstehen lassen.
Mehr Freude bereiteten ihm immer wieder die Meter-Yachten. Im Geburtsjahr des Drachen, 1928, ersegelte er auf den olympischen Regatten in Amsterdam mit dem von ihm entworfenen und gebauten 6er Norna die Goldmedaille; mit an Bord war auch Kronprinz Olav.
Zehn Jahre später entwarf Anker für seinen Freund Olav seinen vielleicht schönsten 8er. Als er die Sira zeichnete, war Anker bereits 67 Jahre alt. Der Kronprinz und seine Freunde Georg von Erpecom, Anders Jahre, Jacob Kjøde und Thomas Olsen hatten sich zusammengetan, um für die Saison 1938 einen neuen 8er zu bestellen, nachdem 1937 der alte 8er Silja, auch ein Anker-Entwurf und Silbermedaillengewinner bei den olympischen Segelregatten 1936 vor Kiel, im Kattegat Cup von der schwedischen Yvonne geschlagen wurde. Die Sira sollte den Pokal unbedingt nach Norwegen zurückholen.
Anker steuerte seinen neuen Entwurf selbst, mit seinen Söhnen Erik und Christian in der Crew. In den Ausscheidungen für den Kattegat Cup konnten sie sehr überzeugend den ebenfalls neu gebauten 8er Anne Sophie, entworfen von seinem Rivalen Bjarne Aas, schlagen und im Cup selbst gewannen sie drei Rennen gegen den 8er Albatros von Tore Holm. Der war zwar raumschots schneller, die Sira kreuzte jedoch deutlich besser.
Die letzte Regatta vor Kriegsausbruch am 1. September 1939 war die KNS-Herbstregatta im August, nur zehn Tage vor dem deutschen Angriff auf Polen, mit Kronprinz Olav am Steuer der Sira und als Crew Prinzessin Martha und der kleine zweijährige Sohn Harald – der, viel später, selbst als König das Familienschiff segeln wird. So steuerte König Harald V. die Sira erst im vergangenen Jahr auf der Robbe & Berking-8-Meter- R-Weltmeisterschaft in Flensburg.
Johan August Anker starb, krankheitsbedingt, schon 1940 – ausgerechnet im Jahr der deutschen Besetzung Norwegens. Mit ihm ging dann auch eine Ära zu Ende, eine große Zeit des norwegischen Segelsports, die eigentlich auch erst mit ihm begonnen hatte. Noch kurz vor seinem Tod hatte Anker König Haakon und Kronprinz Olav in einer kleinen Hütte in Nordnorwegen besucht, wo diese sich auf ihre Reise ins Exil nach Großbritannien vorbereiteten. »Es ist Krieg«, hatte Nini ihm gesagt, »und wir müssen aufstehen und etwas tun!« 1949 enthüllte sein Freund Olav, der 1957 zum König von Norwegen wurde, ein Denkmal für Johan August Anker in Hankø, dem Zentrum des norwegischen Segelsports.
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Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 6