Beim Start des »Sunday Times Golden Globe Race« 1968 war Susie Goodall, 28, noch nicht einmal geboren. Noch lange nicht. Dennoch ist diese junge Frau Feuer und Flamme für das Remake dieses historischen Rennens und will, ganz wie die Segler damals, nonstop, allein und ohne fremde Hilfe um die Welt segeln. Mit einer Technik, die auf dem Stand von damals stehen geblieben ist. Warum nur? Detlef Jens sprach mit ihr, um das herauszufinden.
Segeln ist ihr Leben. Schon seit sie drei Jahre alt war. Susie Goodall ist die jüngste und einzige weibliche Teilnehmerin an einem epischen Rennen, das 2018 nach genau 50 Jahren zum zweiten Mal gestartet wird, am 1. Juli im französischen Les Sables d’Olonne. Es geht ganz einfach einmal um die Welt, allein und nonstop. Das ist an sich zwar immer noch eine gigantische Herausforderung an jede Seglerin, an jeden Segler, wäre heute aber vielleicht dennoch nicht weiter sensationell. Dies aber ist anders: Retro. Rau. Roh. Und: Romantisch. Auf jeden Fall ohne die Samtverpackung aus moderner Technik, ohne die Seglerinnen und Segler in heutiger Zeit gemeinhin nicht mehr aufs Meer gehen, geschweige denn allein um die Welt. In, nach heutigen Maßstäben, kleinen Booten traditionellen Entwurfs, also eher schweren und nicht besonders schnellen Fahrtenyachten. Ohne Navigation per GPS oder Kartenplotter, ohne Radar und Satellitentelefon und AIS, ohne elektrische Winschen an Deck und Entertainmentsystem unter Deck und was nicht noch alles. Entschleunigtes Segeln, sozusagen.
Es begann 1968. Zwei Jahre zuvor, 1966, war Francis Chichester zu seiner Weltumsegelung aufgebrochen: In nur 229 Tagen reiner Segelzeit umrundete er mit seiner Gipsy Moth V allein den Globus, mit einem Zwischenstopp in Sydney. Der damals 28-jährige Marineoffizier Robin Knox-Johnston erkannte daraufhin ganz richtig, dass man diese Leistung nur noch durch eins toppen könnte: eine Weltumsegelung, allein und nonstop. Chichester war auch durch die ausführliche Berichterstattung in der englischen Sonntagszeitung »Sunday Times« berühmt geworden. Jetzt nahm die Zeitung die Idee einer Solo-Nonstop-Weltumsegelung begeistert auf, legte noch eins obendrauf und machte daraus ein Rennen. Stiftete einen für damalige Verhältnisse hohen Geldpreis von 5.000 Pfund, und schon begannen etliche Segler, das verrückte Unternehmen zu planen. Ein solches Unterfangen, allein und ohne Hilfe nonstop in einer kleinen Yacht um die Welt zu segeln, kam damals in seiner Ungeheuerlichkeit einer Reise zum Mond gleich – tatsächlich landete Apollo 11 auch erst im Jahr 1969 auf dem Mond.
Der Rest ist Geschichte. Neun Segler starteten, nur einer schaffte es: Robin Knox-Johnston wurde zum ersten Menschen, der zumindest »offiziell« allein nonstop die Erde umsegelte. Sein ärgster Konkurrent, der Franzose Bernard Moitessier, segelte nicht ins Ziel, sondern stattdessen gleich eineinhalbmal um die Welt, nämlich vom Kap Hoorn aus geradeaus bis in die Südsee weiter, noch einmal ums Kap der Guten Hoffnung herum, bis er endlich in Tahiti vor Anker ging. »Weil ich auf See glücklich bin. Und vielleicht auch, um meine Seele zu retten«, wie er es in einer per Katapult auf die Brücke eines Frachters geschossenen Nachricht der erstaunten Welt mitteilte. Jahre später scherzte Moitessier über sich selbst und sagte zu James Wharram, einem weiteren Pionier der Hochseesegelei: »Bei dem Gedanken, dass mich nach dem Sieg womöglich unser Präsident, General de Gaulle, geküsst hätte, ist mir speiübel geworden. Da musste ich einfach weitersegeln!« Nun startet die Neuauflage, 50 Jahre später. Ein halbes Jahrhundert, in der sich die Welt, auch die Welt des Segelns, fundamental verändert hat. Das Einhand-Weltrennen »Vendée Globe« findet alle vier Jahre statt, dort segeln Profis in hochmodernen Booten mit Hightech-Ausrüstung in atemberaubender Geschwindigkeit allein und nonstop um die Welt. Ganz »normale« Segler schippern jedes Jahr zu Hunderten um die Welt, mit Satellitennavigation, Internet und jeglichem Komfort an Bord. Doch die Ankündigung, noch einmal wie damals, unter den gleichen erschwerten Bedingungen, um die Welt zu segeln, löste eine große Resonanz aus. Warum traf dies, wo doch heute alles so einfach geworden ist, offenbar einen Nerv?
Die junge Seglerin Susie Goodall sagt dazu: »Ich bin ja sozusagen ein Millennium-Kind und habe diese Art von Abenteuer verpasst. Ich wollte schon immer einmal um die Welt segeln, und ich liebe die Einfachheit hier. Langsam, in wirklich soliden, ozeantauglichen Booten und eben vor allem ohne viel Technik. Segeln ist mein Leben, das Meer ist mein Zuhause, hier fühle ich mich wirklich wohl. Ich weiß, dass es eine Art Fatal Attraction ist, die See kann so grausam und brutal sein, aber dennoch komme ich immer wieder zurück und will mehr. Du bist hier so unmittelbar in der Natur, wie man es überhaupt nur sein kann, und das liebe ich.« Dazu gehört für sie auch die Art zu navigieren: »Ohne GPS um die Welt zu segeln finde ich großartig! Ich habe schon viel astronomische Navigation gemacht, nach den Sternen seine Position und seinen Weg zu finden ist faszinierend und wunderbar. Wie überall im Segeln gibt es immer noch viel zu lernen und zu verbessern, und das gilt auch für meine astronomische Navigation, aber ich habe in meinem Boot schon 8.000 Seemeilen im Atlantik gesegelt und immer die richtigen Inseln gefunden!« Gibt es denn überhaupt etwas, was ihr bei diesem Unternehmen Angst macht? »Ja, alles das, was außerhalb meiner Kontrolle ist. Mutter Natur kann sehr hart sein, außerdem schwimmen im Ozean so viele Dinge herum, die dort nicht hingehören und die man nicht sehen, wohl aber rammen kann. Es gibt heute auch so sehr viel mehr Schiffsverkehr, auch das beunruhigt mich, kann ich aber nicht ändern. Und das Wetter ändert sich. Schwere Stürme sind einfach häufiger geworden. Und es wird noch schlimmer.«
Ihr Boot ist dieser Herausforderung jedenfalls gewachsen. »Ja. Ich wollte eine Rustler 36 haben, weil die am oberen Ende der Skala dessen ist, was für das Rennen an Schiffsgröße erlaubt ist. Es gibt das bisschen mehr an Platz, an Stauraum und so weiter. Ich habe wie gesagt schon eine Rundtour um den Atlantik damit gesegelt und kenne das Schiff daher gut. Nun wurde es noch einmal komplett überholt und auch an vielen Stellen modifiziert. Der Mast ist jetzt durchgesteckt und steht auf dem Kiel und nicht, wie im Original, an Deck. Die Fenster habe ich zulaminiert und durch sehr kleine, stabile Bullaugen ersetzt. Neue Schotten wurden eingebaut, die alten verstärkt, die komplette Elektrik erneuert, das stehende Gut, es sind unendlich viele Jobs, die am Boot zu tun waren und noch sind.« Das hört sich ja nach einem Vollzeitjob an, das Rennen bestimmt über eine längere Zeit ihr Leben. Wie kann man das hinbekommen? »Ja, am Ende werde ich mich drei Jahre vorbereitet haben und dann erst starten – das ginge natürlich nicht ohne die Hilfe und Unterstützung der Familie und Freunde, aber auch nicht ohne meinen Sponsor DHL. Dies ist zwar ein Rennen, das man allein segelt, aber man könnte es wohl kaum schaffen, allein an den Start zu kommen.« Dann hat sich das Rennen gegenüber dem Original doch geändert? »Sicher. Damals hieß es: Segele allein um die Welt, und halte nicht an. Das war’s. Heute gibt es schon viele Regeln, und es ist auch nicht mehr so einfach für jeden zugänglich. Die meisten Teilnehmer mussten sich ein Boot für das Rennen kaufen, weil ja nur bestimmte Typen zugelassen sind. Damals nahmen Robin Knox- Johnston und andere einfach das Schiff, welches sie ohnehin schon hatten. Jetzt ist es schon ein anderes Rennen, aber ich sehe es als eine Art Hommage an das Original.« Billig ist solch ein Unternehmen natürlich auch nicht. »Nein, man muss sich ja drei, vier Jahre lang damit beschäftigen und ein Einkommen haben. Dazu kommt der Bootskauf, plus Proviant und Ersatzteile, das ist ein Riesenbatzen Geld. Ich musste mir dafür einen Sponsor suchen. Man könnte es auch billig machen, sich vielleicht eine Nicholson 32 für zirka 20.000 Euro kaufen, dann muss man aber noch einmal mindestens 50.000 in das Schiff investieren, und dann kommen alle anderen Ausgaben dazu, das werden am Ende dann auch 150.000 bis 200.000 Euro, und das wäre ein sehr knappes Budget.« Was hat sich noch geändert gegenüber damals? »Der Ozean selbst! Es ist herzzerreißend traurig und tragisch, all den Müll im Ozean zu sehen. Als ich von Antigua zurück zu den Azoren segelte, sah ich unterwegs mehr Müll als irgendeine Form des Tierlebens. Es ist so viel schlimmer, als wir uns das an Land vorstellen können, weil wir es von hier aus nicht sehen. Es ist unbeschreiblich, Tausende von Seemeilen vom Land, und man sieht nur Müll! Aber was bleibt uns überhaupt noch, wenn wir keine gesunden Ozeane mehr haben?« Susie, und nicht nur sie natürlich, wäre jedenfalls heimatlos.
Am besten gefiel es ihr an Bord eines Expeditionsseglers, mit dem sie bis Spitzbergen, Grönland, Island kam. Der Ozean, das ist sicher, liegt ihr am Herzen. Aber was könnte nach einem Rennen wie dem Golden Globe für sie denn überhaupt noch kommen? Susie lacht: »Ist doch klar. Das Gleiche. Nur schneller!« Könnte sie sich also auch eine Teilnahme an der »Vendée Globe Challenge « vorstellen? »Ja«, meint sie, »das könnte ich. Wenn ich jemals die Gelegenheit dazu bekomme …« Bis dahin wird sie nicht ganz so schnell um die Welt segeln. Etwa acht Monate rechnet sie als reine Segelzeit, allein auf See, für das Golden Globe. Immerhin ist das schon schneller als Robin Knox-Johnston. Der benötigte für seine Weltumrundung noch 312 Tage…
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Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 27