Um JFK, sein Handeln und den Zauber, der von ihm ausging, zu verstehen, muss man auch die Leidenschaft der Familie Kennedy zum Segeln und dem Meer kennen. Am Tag nach seiner Ermordung in Dallas am 22. November 1963 fand man im Rice Hotel auf einem Notizblock des Hotels Skizzen eines Segelboots, die JFK während seines Aufenthalts dort gezeichnet hatte, nur Stunden vor seinem Tod. John F. Kennedy wurde am 29. Mai 1917 geboren. Den Präsidenten der USA, den charismatischen Politiker, aber besonders den begeisterten Segler, würdigte das Yachting Heritage Centre mit der Ausstellung »Kennedy – the sailing President«.
Der unüberschaubar große Kennedy-Clan wurde durch das Attentat auf JFK und eine Reihe nicht minder schlimmer Tragödien berühmt. Weniger bekannt ist ein Familienmitglied, das die Kennedys erfolgreich durch Sturm und Flauten begleitete – ein Kielboot namens Victura.
Es war Sonntag, der 13. August 1944, als ein kleines gaffelgetakeltes Kielboot in den Nantucket Sound hinaussegelt, eine »Wianno Senior«. Bob Kennedy berichtete später, es sei Jack gewesen, der gesagt habe: »Joe würde nicht wollen, dass wir rumsitzen und heulen, er würde wollen, dass wir segeln gehen.« Es war ein Sonntagnachmittag, der nicht so war wie die meisten, obwohl es danach aussah. Mittags waren zwei Priester ins Haus von Joe und Rose Kennedy gekommen und hatten ihnen mitgeteilt, dass ihr ältester Sohn in England gefallen war. Joe Kennedy jr. war mit einem Sprengstoff-Flugzeug Richtung Frankreich gestartet, aus dem er mit dem Fallschirm abspringen sollte, worauf das Flugzeug ferngesteuert in eine deutsche V1-Abschussbasis in der Normandie gelenkt werden sollte. Das Flugzeug explodierte kurz nach dem Start. Die Kennedy-Geschwister gingen also segeln, während der Vater sich in sein Zimmer zurückzog und die Mutter im Salon des großen Holzhauses weinte. John Fitzgerald Kennedy (27), der in der Familie nur Jack hieß, ging derweil am Strand spazieren. Er war mit 55 Kilo Gewicht aus dem Pazifik-Krieg heimgekehrt und hatte sich einer Rücken- und einer Darmoperation unterziehen müssen, weshalb er noch nicht wieder segeln konnte. Er sah seinen jüngeren Geschwistern auf dem Wasser zu, jetzt war er der älteste Sohn in der Familie. Sein Bruder Joe war in einem Einsatz gegen deutsche Raketen-Abschussrampen gefallen, und der Chef des deutschen Raketenprogramms, Wernher von Braun, sollte später Raketen für Kennedys NASA entwickeln, am Ende die kirchturmhohe Saturn V, die die Apollo-Missionen zum Mond brachte. Der politische Visionär John F. Kennedy brachte das Programm der technischen Visionäre auf den Weg, aber er selbst sah nie eine Saturn V abheben. Die Geschichte der Kennedys, nicht nur die des Präsidenten, erzählt ein Buch, das ein amerikanischer Politikprofi geschrieben hat, James W. Graham, dreißig Jahre lang Chefberater des Gouverneurs von Illinois. »Victura – The Kennedys, a Sailboat, and the Sea« nähert sich dieser ungewöhnlichen Familie aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel: vom Boot. Kann ein Boot Menschen so prägen, dass aus ihnen etwas Besonderes wird?
Kann es natürlich nicht. Es gibt knapp zweihundert Wianno Seniors, und nur eine hat einen Präsidenten, zwei Senatoren und ein halbes Dutzend Berühmtheiten an Schot und Pinne gehabt. Ebenso gut könnte man die Geschicke einer Familie davon herleiten, dass sie einen VW-Bus fährt. Bemerkenswert ist allenfalls, dass die Familie Kennedy sich mit einem recht bescheidenen Boot begnügte, obwohl sie sich eine richtige Yacht hätte leisten können. Es ist der Lebensanspruch des Vaters, der seine Familie in besondere Positionen getrieben hat, und hierbei hat allerdings das Segeln und die Wahl des Bootes eine Rolle gespielt. Denn es ist ein Boot, mit dem Jugendliche allein loskönnen, auf dem sie zusammenarbeiten, Spaß haben, Wettkampf, Abenteuer. Nach ihren kleineren Vorgängern ist die Wianno Senior eine Art Familienjugendkutter. Vater Joseph P. Kennedy Sr. strebte nach Höherem, nicht nur nach Geld. Das hatte er als junger Bankdirektor zwar nicht im Übermaß, aber man kam zurecht, auch mit vielen Kindern. Nachdem zwei vornehme Golfclubs ihn aus verschiedenen Gründen nicht als Mitglied haben wollten – er war erstens Nachfahre von irischen Hungerflüchtlingen, zweitens katholisch und drittens neureich –, unterstützte er einen finanziell angeschlagenen Segelclub am Sund in der richtigen Annahme, dass man ihm dann die Mitgliedschaft kaum verweigern könne. Also kein Golf. Vater Kennedy kaufte ein erstes Boot, die fünf Meter lange Rose Elizabeth. Dann folgte die Wianno Junior The Eight Of Us (es gab acht Kinder), die später ein Namens-Upgrade zu Tenovus erfuhr, und als Ted geboren wurde, kam eine zweite Wianno Junior dazu: One more. Und schließlich kam die Wianno Senior. Die Kinder sollten, mussten, durften segeln. Bei jedem Wetter, bei jeder Regatta. Die Familie beschäftigte einen Bootsmann, aber der hatte nur die Aufgabe, den Kindern Knoten und die Grundbegriffe des Segelns beizubringen und hin und wieder was am Boot zu machen.
Die Kennedy-Geschwister hielten zusammen wie Pech und Schwefel, segelten miteinander und gegeneinander. Sie segelten gut und räumten Preise ab, am erfolgreichsten waren Joe Jr., John F. (»Jack«) und ihre Schwester Kathleen (»Kick«). Bobby, der später als Präsidentschaftskandidat ebenfalls einem Attentat zum Opfer fallen sollte, segelte nicht so gut, zum Ärger des ehrgeizigen Vaters. Er kam auch mal als Letzter an. Wenn die Kinder mal nicht gewannen und es nicht an mangelndem Bemühen gelegen hatte, dann konnte das der Anlass sein, ein neues Großsegel zu kaufen. Aber im Allgemeinen segelten sie vorn mit, und der Vater konnte zufrieden sein. Auch wenn sie später auf teure Schulen geschickt und auf Karrieren vorbereitet wurden – am Wochenende waren sie meistens im großen Haus in Hyannis Port, und wenn sie dort waren, wurde gesegelt. Egal, was passierte. Und sie segelten gut. Im ersten Jahr in Hyannis Port saßen die Kinder mit dem Vater auf der Terrasse und sahen draußen ein gekentertes Boot und einen Segler, der es nicht schaffte, das Boot aufzurichten. Joe und Jack – damals zwölf und zehn Jahre alt – flitzten runter zur Elizabeth Rose, setzten Segel und bargen den schon ziemlich geschwächten Mann. So gesehen waren die Kennedys eine ganz normale Großfamilie, in der alle segelten. Auch wenn zum Yankee-Adel ein bisschen fehlte, gehörten sie zu den Privilegierten und zur Elite. Der Vater wurde Botschafter in England (der Großvater mütterlicherseits war bereits Bürgermeister von Boston gewesen), und die Kinder gingen zur Schule und machten viel Sport und segelten auf dem Nantucket Sound.
Manche glauben, dass der vom Vater angefachte Konkurrenzkampf in der Familie eine Rolle bei Joes Tod spielte. Denn der meldete sich als Pilot ständig freiwillig zu besonderen Einsätzen, so auch zu dem, der ihn schließlich das Leben kostete. Konkurrierte er mit Jack, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kriegsheld war? Er hatte als Kommandant eines Torpedobootes seine Crew gerettet, nachdem sie in stockfinsterer Nacht von einem japanischen Zerstörer gerammt worden waren. Es war eine wilde Aktion, bei der er einen Verwundeten stundenlang zu einer Insel schleppte, indem er ihn am Gürtel mit den Zähnen zog, und sie waren ein paar Tage verschollen, bis es Kennedy gelang, Hilfe zu holen. Die Geschichte wurde von der Presse aufgegriffen, doch Vater Joe ärgerte sich, dass sie nicht in der auflagestarken »Life« gedruckt wurde, sondern nur im »New Yorker«. Aber er erreichte, dass die Geschichte im »Reader’s Digest« nachgedruckt wurde, dessen Auflage noch viel höher war als die von »Life«. Auch später, als Jack in die Politik ging, sorgte der Vater für Presse, Presse, Presse. Auch Dinge, die nichts mit den Heldentaten seines Sohnes zu tun hatten – etwas seine Rücken- und Darmprobleme –, wurden zu Kriegsschäden umgedeutet. Das verdeckt ein wenig, dass der 27-jährige Torpedobootkommandant John F. Kennedy bei der Rettung seiner Crew tatsächlich Bewundernswertes geleistet hat. Sein Bruder Ted sagte später, dass Jack das nur konnte, weil er durch und durch ein Segler und mit dem Meer vertraut war. JFK ließ sich auch mit Jackie beim Segeln fotografieren. Die bekannteren Bilder sind die gestellten, bei denen der Fotograf die Regie führte. Bilder, gegen die sich ein Segler eigentlich hätte wehren müssen, aber als Politiker drückt man da wohl ein Auge zu. Die Fock killt, JFK sitzt barfuß auf dem Vorschiff in Lee, der Wind zaust Jackies Haare … Doch es gibt auch gute, echte Bilder, bei denen Skipper Jack mit seiner Horde und Bruder Bobby im Cockpit sitzt und einfach bei gutem Wind segelt und Spaß hat.
JFK kaufte später, gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten, eine echte Yacht, die 23 Jahre alte Mahagoni-Yawl Manitou. Sie war ein schnelles Schiff, von Sparkman & Stephens für Hochsee-Regatten gezeichnet, und wurde im Auftrag des Präsidenten mit Funktechnik und einer Badewanne ausgestattet, in der sich u. a. Marilyn Monroe entspannt haben soll. Doch der kleinen Victura blieben JFK und seine Geschwister treu, sie war ein Teil der Familie. Nachdem der Präsident und sein Bruder Bob Attentaten zum Opfer gefallen waren, segelte Ted das Boot, oft einhand und in der Nacht. Präsident John F. Kennedy († 46), der jüngste gewählte Präsident der USA, ist uns durch andere Dinge in Erinnerung geblieben. Um seine Ermordung im November 1963 ranken sich die üblichen Verschwörungstheorien. In seine Amtszeit fielen die Kuba-Krise, der Kalte Krieg, das atomare Wettrüsten mit Wasserstoffbomben, das Aufflammen des Vietnam-Kriegs. Das Mondprogramm, von dem er nicht mal den Beginn der zweiten Phase erlebte, die Gemini-Flüge. Jeder kennt heute zumindest dem Namen nach den New Yorker Flughafen JFK (der vorher »Idlewild« hieß). Für manche war Jackie wichtiger als »Jack«, unter anderem, weil da noch eine gewisse Marilyn Monroe war. Die Deutschen hat der junge Präsident 1962 durch seine Rede in West-Berlin begeistert, in der er sagte: »Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner.« Er beendete ein paar Minuten später seine Rede mit den Worten: »Ich bin ein Berliner.« Das bedeutete, dass Amerika aus Überzeugung, und nicht aus taktischen Gründen, an der geteilten Stadt Berlin festhielt. John F. Kennedy war ein charismatischer Mensch mit einem gewinnenden Lächeln, selbst wenn es ihm nicht gut ging. Sein Vater hatte eigentlich den älteren Bruder für die Politik vorgesehen, er hielt den nachdenklichen »Jack« eher für einen Lehrer. Doch dann war JFK im Clan plötzlich der älteste Sohn, und man kann darin ein Statement oder eine Lebenseinstellung sehen, dass er seine Geschwister aufs Wasser zum Segeln schickt, statt sie ihrer Trauer zu überlassen.
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Text: Hans-Harald Schack. Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 24