Wie Carlo Riva es schaffte, innerhalb von zwei Jahrzehnten aus einem kleinen Familienbetrieb eine weltberühmte Marke zu machen.
Edle und stilvolle Runabouts, schnelle offene Motorboote mit eleganten Linien, gebaut aus glänzend lackiertem Mahagoni und angetrieben von lautstarken Motoren, beflügelten schon in den 1920er- und 1930er-Jahren die Fantasie und weckten Begehren. Diese Boote, die auch durch die Romane eines F. Scott Fitzgerald kreuzten, wurden damals vor allem in Amerika gebaut: von Chris Craft, Gar Wood oder Hacker. Nach dem zweiten Weltkrieg jedoch eroberte sich eine kleine italienische Marke den ersten Platz in dieser Welt: »Riva« wurde zum Synonym für schnelle und elegante Mahagoni-Motorboote. Es war Carlo Riva (1922 bis 2017), Urenkel des Werftgründers Pietro Riva, der diesen bemerkenswerten Aufstieg schaffte. Es war ein weiter Weg von Pietro, der sich im Juni 1842 als junger Mann in seinem Dorf aufmachte, um sich in Sarnico, am See Iseo, mit einem Bootsbaubetrieb niederzulassen, bis zur weltbekannten Marke, die heute Teil der Ferretti-Gruppe ist: 160 Jahre später, im Jahr 2000, kaufte Norberto Ferretti 100 Prozent der Riva-Anteile. Aber der entscheidende Teil der Geschichte spielt in den 1950er- und 1960er-Jahren – der Aufstieg von Riva, vorangetrieben von Carlo Riva. Wie konnte ihm das gelingen? Unternehmergeist jedenfalls schien die Familie schon immer gehabt zu haben. Carlos Oma, die Frau von Ernesto, Sohn von Pietro, der die Werft nun führte, machte aus der Werftkantine am See eine Trattoria, als mehr und mehr Ausflugsgäste an den See kamen. Ernesto teilte das unternehmerische Risiko auf diese beiden ganz unterschiedlichen Bereiche: Bootsbau und Gastronomie. Sein Sohn Serafino dagegen, der 1912 an seinem ersten Motorboot-Rennen teilgenommen hatte, verlegte sich ganz auf diese Seite: mit den auf der eigenen Werft entworfenen und gebauten Booten Rennen zu gewinnen. Darin war er gut, und es war seine Art, die Marke Riva bekannt zu machen. In den 1920er-Jahren entwarf und baute Serafino Riva- Rennboote, in denen die Motoren unter dem langen Vordeck Vor dem Fahrer standen. Diese Art von Booten wurde auch als Runabout, zum reinen Vergnügen, gekauft.
Sein Sohn Carlo wollte auch gewinnen, aber eher die Herzen der Nachkriegsgeneration von reichen Menschen, die plötzlich vor allem die Côte d’Azur und die italienische Riviera bevölkerten. Zwischen Cannes und Portofino vermischte sich alter Geldadel mit den Nachkriegsneureichen, es gab eine unbändige Lebenslust und die Sehnsucht nach dolce vita und bel mondo. Und Carlo Riva hatte eine klare Idee, wie er daran teilhaben, wie seine Werft davon profitieren konnte. Riva-Boote waren anerkannt schnell, doch der Markt für Rennboote erschien ihm als zu klein. Für die neue Generation derjenigen, die sich ein glamouröses Leben leisten konnten und wollten, musste er nichts weniger als das perfekte, vollendete Boot anbieten. Um das wiederum zu erreichen, sah er nur einen Weg. Eine Serienproduktion von höchster Qualität. Bisher war die Werft ein reiner Handwerksbetrieb, jedes Boot ein einzeln gebautes Unikat. Carlo war dazu bereit, die Werft »zu vergrößern, zu modernisieren, sich etwas Neues auszudenken und, wenn nötig, alles zu riskieren«, wie er selbst es einst gesagt haben soll. Dazu brauchte er vor allem Geld. Und tatkräftige Unterstützung, die er in seinem Freund Gino Gervasoni fand. Geld konnte der zwar auch nicht bieten, doch mit seinem jugendlichen Enthusiasmus überzeugte er einige Eigner von Riva-Booten davon, in die Modernisierung der Werft zu investieren. Mit Mut, Optimismus und Tatkraft: So überstanden sie die ersten Jahre des »Neustarts«. Inspiriert von der gleichzeitig stattfindenden, atemberaubenden Entwicklung des Automobils, gerade in Italien, wo das Designstudio Pininfarina für Enzo Ferrari einen zukünftigen Klassiker nach dem nächsten schuf. »Ich wollte die Architektur des Autos komplett erneuern«, sagte Battista Pinin Farina damals in einem Interview. Das beeindruckte Carlo Riva und beeinflusste seine Boote, die nicht zufällig vor allem durch ihre Lenkräder und Armaturenbretter an eben solche Sportwagen erinnern. Denn wie diese war auch ein Riva-Boot nicht einfach nur Transportmittel, sondern Ausdruck eines neuen Luxus. Riva war davon überzeugt, dass seine Boote auf dem Wasser einen ähnlich starken Eindruck wie, auf der Straße, ein Ferrari machen mussten. Komplett losgelöst vom Alltäglichen, mit markantem, mutigem Design, welches nur wenig mit bloßer Funktionalität gemein hat.
Und das in obsessiv perfekter Bauqualität. Nicht einfach, wenn man bedenkt, dass Holz ein lebendiges Material ist, welches ganz individuell verarbeitet werden muss. Aber Carlo baute dennoch seine Art von Produktionslinien, mit standardisierten Mallen und Schablonen für den Zuschnitt der einzelnen Teile. Das Holz wurde mit größter Sorgfalt ausgewählt, meist von ihm persönlich. Bald wurde auch, für die Bodengruppen, das damals ganz neue, leichtere und festere Sperrholz eingesetzt. Und trotz dieses frühen »Serienbaus« blieb es immer noch auch hoch qualifizierte Handarbeit. Alleine die Endlackierung einer neuen Riva nahm zwei Monate in Anspruch: 16 Lagen Lack, nacheinander von Hand aufgetragen in klimatisierten, staubfreien Kammern. Während Carlo Riva der Perfektionist beim Design und Bau seiner Boote war, kümmerte sich sein Freund Gino Gervasoni mit Elan und Flair darum, diese wundervollen Boote auf internationaler Bühne perfekt in Szene zu setzen. Es gab bald eine erste Agentur in Rom, es folgte ein Showroom in Santa Margherita Ligure an der Riviera, die Stände auf der alljährlichen Messe in Mailand gehörten dazu, bis hin zum großen Triumph: der Riva Showroom im Rockefeller Centre an der Sixth Avenue in New York. Und immer und überall wurde peinlich auf den perfekten Stil geachtet. Selbst die Lastwagen, welche die fertigen Boote auslieferten, waren mit verchromten Radkappen und Zweiton-Lackierung von einem Glanz, der dem der Boote kaum nachstand. Fahrer, Arbeiter und Deckhands trugen immer weiße Overalls mit dem Firmenlogo, in Blau, auf der linken Brusttasche. Es hätte ins Bild gepasst, wenn sie alle auch noch mit weißen Handschuhen gearbeitet hätten. Am Beginn der neuen Modelle von Riva stand die Corsaro, deren Name natürlich nicht zufällig gewählt war. Wie die eleganten schnellen Korsarenschiffe aus alten Zeiten sollte dieses Boot alle anderen übertreffen, vielleicht fühlten sich Carlo und Gino zeitweilig auch wie die furchtlosen und abenteuerlustigen Korsaren. Das Boot jedenfalls war der Archetyp der »neuen Riva«. Kompakte Linien, das Cockpit vorne, eben wie ein Sportwagen auf dem Wasser. Und es konnte bis zu 70 km/h schnell sein. Gebaut wurde die Corsaro bis 1955. Eine der ersten Filmstars mit Riva war die Italienerin Alida Valli, die ein Haus auf Ischia besaß und dort ihr Boot stationierte, Mitte der 1950er-Jahre.
Dann kam die Tritone, benannt nach Triton, Sohn von Poseidon und Amphitrite. Gemäß diese »Herkunft« erwies sich auch das Boot als »göttlich«, brachte den wirklichen Durchbruch für Riva. Als erstes Boot der Werft am See, das nämlich auch wirklich seetüchtig war, bestens geeignet für die Küsten ebenjener Gegenden, wo sich die potenziellen Kunden von Riva vergnügten. Gut acht Meter lang, angetrieben von zwei starken Motoren, war es schnell, stabil und bot an Bord Platz für bis zu zehn Personen. 1960 kaufte Anita Ekberg eine Tritone und hatte das Boot, während der Dreharbeiten von Fellinis »La dolce vita«, in Fiumicino liegen. Gunter Sachs hatte seine Tritone schon 1957 gekauft und erwies sich überhaupt als guter Kunde: 1958 kam eine Ariston dazu, 1962 kaufte er eine Super Tritone und schließlich zwei Super Aquarama, eine 1965 und eine 1969. Diese Boote hatte er in Saint-Tropez und auf dem Genfer See liegen. Angelo Rizzoli, Verleger und Filmproduzent (auch von »La dolce vita«), fuhr erst eine Ariston, dann eine Aquarama im Mittelmeer vor Ischia; der Insel, die er maßgeblich förderte und zum Treffpunkt von Autoren, Schauspielern und Finanziers machte. Der Schauspieler Peter Sellers, berühmt als Inspektor Clouseau im Film »Pink Panther«, stillte seine Sehnsucht nach Meer mit einer Super Ariston (1966) sowie einer Super Aquarama und einer Riva Junior (1967). 1963 kaufte Sophia Loren eine Aquarama, der Aga Khan schaffte sich gleich zwei davon an, eine 1965 und eine 1970. Diese Liste ließe sich noch ziemlich lange fortführen, auch mit Gilbert Becaud (Super Florida, 1963) und Jean-Paul Belmondo (Super Florida, 1964) sowie Elizabeth Taylor und Richard Burton, die auf ihrer Yacht eine Riva Junior als Tender hatten. Ach ja, und natürlich die Bardot, die sich zwei Floridas kaufte, eine 1959, eine 1962. Die legendärste Szene, die so schön ist, dass wir hier gar nicht fragen wollen, ob es sich dabei um Wahrheit oder Mythos handelt, fand angeblich auf Gunter Sachs’ Aquarama statt. Die beiden sollen sich auf der Sonnenliege der Aquarama geliebt haben – während das Boot mit festgeklemmtem Steuer und Vollgas voraus über das Mittelmeer Richtung Afrika rauschte. Ein Rausch, fürwahr: »In diesem Moment war es uns egal, ob wir sterben würden«, soll Sachs gesagt haben. Das ist nicht wirklich überraschend. Vermutlich hätten damals so einige Männer ihr Leben für eine solche Liebesszene mit BB gegeben…
Beim Debut der Aquarama, 1962, war Riva bereits ein berühmter Name. Rivas fuhren überall dort, wo das Leben gefeiert wurde, sei es nun in Portofino, Cannes, Monaco, Saint-Tropez oder Ibiza. Die Aquarama war gleichzeitig auch der Gipfel der Riva-Evolution, die einst mit der Sebino und der Florida begonnen hatte. Von den Dimensionen, der Motorisierung und der Form her mächtig, war die Aquarama ein angemessener Nachfahre der Tritone. »Ein so prächtiges, schönes Boot hatte es nie zuvor gegeben«, hieß es damals, und vielleicht kann man das bis heute gelten lassen. Es gab sie in drei Modellen – Aquarama (8,02 Meter, zunächst mit zwei Chris-Craft-185-PS-V8-Motoren ausgestattet, spä- ter mit zwei Riva V8 von je 220 PS), Super Aquarama (8,45 Meter, zweimal 320 PS) und Aquarama Spezial (8,75 Meter, zweimal 350 PS). Es gab eine kleine Kabine für zwei unter dem Vordeck und das vor allem durch Brigitte Bardot und Gunter Sachs berühmt gewordene große Sonnendeck achtern über den Motoren. Das letzte von Riva entwickelte Holzboot war die Olympic, 1969 als Ersatz für die Florida eingeführt. Doch dann begann, auch bei Riva, die Kunststoff- Zeit. Die Aquarama blieb der Gipfel der Holzboote. Carlo spürte wohl, dass die Aquarama, auch als Super Aquarama und Aquarama Spezial, nur sehr schwer zu übertreffen sein würde. Es waren jetzt die 1970er-Jahre, und Carlo, Neuem immer aufgeschlossen, hatte wieder so seine Ideen. Die Kunden wollten nun mehr Komfort an Bord haben, statt reiner Runabouts auch Kabinen und Badezimmer und vieles mehr, zum bequemen Übernachten an Bord. Carlo spürte, dass Kunststoff das neue Material der Wahl war. Aber die Zeiten änderten sich auch in anderer Hinsicht. Vom ersten Streik in seiner Werft fühlte Carlo sich überrumpelt, viel mehr als von den neuen Materialien, neuen Booten. Vor allem die plötzlich feindselige Haltung seiner Arbeiter ihm gegenüber war zu viel für ihn. 1969 entschloss er sich dazu, in seinem wunderschönen Büro in Form einer Schiffs- Kommandobrücke mit Blick über den See, seine Werft an eine amerikanische Firma zu verkaufen: das Ende einer großartigen Ära.
//
Text: Detlef Jens. Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 29