Als Teenager las ich alles von den großen Pionieren des Hochseesegelns, wie Joshua Slocum, Bernard Moitessier oder Robin Knox-Johnston. Deren haarsträubende Geschichten von riesigen Wellen, dramatischen Sonnenuntergängen und der Idee, mit dem Ozean eins zu werden, brachten mich dazu, mit dem Segeln anzufangen. Mein Traum, wie der von so vielen anderen, war es natürlich, deren großen Reisen nachzueifern. Fünf Jahrzehnte nach dem »Sunday Times Golden Globe Race« bekam ich wenigstens endlich die Gelegenheit, einmal Moitessiers legendäre Yacht Joshua selbst segeln zu dürfen.
Die auffällige rote Ketsch des »Vaters des französischen Einhandsegelns«, Bernard Moitessier, gehort heute, schon fast als ein Nationalheiligtum der Franzosen, dem Maritimen Museum in La Rochelle, wo sie gepflegt, aber auch gesegelt wird. Es dauerte immerhin ein ganzes Jahr, bis die franzosische Regierung die Erlaubnis erteilte, das Schiff 2018 nach England zu segeln, um dort an den Feierlichkeiten anlasslich des 50. Jubilaums des ≫Sunday Times Golden Globe Race≪ von 1968/69 teilzunehmen. Joshua und ihre enthusiastische Crew haben genau einen Monat bekommen, um im Juni nach Plymouth und Falmouth zum Start des 2018 Golden Globe Race zu segeln. Moitessier selbst wurde zur Legende, als er, nachdem er das Kap Hoorn passiert hatte, ein zweites Mal in den wilden Sudozean abtauchte und damit dem sicheren Ruhm davonsegelte: ≫Ich bin glucklich auf See. Und vielleicht tue ich dies auch, um meine Seele zu retten.≪ Statt die erfolgversprechende Verfolgungsjagd auf den zu diesem Zeitpunkt nur noch knapp fuhrenden Robin Knox- Johnston und seine Suhaili zu beenden, um den Sieg im Golden Globe Rennen und das Preisgeld von immerhin 5.000 Pfund fur die schnellste Nonstop-Weltumsegelung zu erringen, segelte Moitessier weiter gen Osten. Die Welt erfuhr davon erst, als er vor Kapstadt auftauchte und eine Filmdose mit der beruhmten Nachricht seines Verzichts auf die Brucke eines ankernden Tankers katapultierte, etwa um die Zeit, zu der er eigentlich schon im Englischen Kanal erwartet wurde.
Sein Biograf Peter Nichols glaubt, dass der Franzose nicht nur wegen seiner epischen Reisen auf See zum Held wurde, sondern auch wegen seiner ebenso epischen Ambivalenz und menschlichen Fragilitat. Er war ganz sicher bipolar, wechselte von ungebremster Begeisterung zu tiefer Depression und wieder zuruck. Locker und angespannt, das zieht sich durch sein ganzes Leben und erklart vielleicht die vielen Widerspruche in seinem Wesen und Wirken. Einiges davon zeigt sich auch in der Joshua. Der franzosische Yachtdesigner Jean Knocker brauchte 14 Monate, um Moitessiers viele Skizzen in einen brauchbaren Bauplan zu verwandeln, nach dem das Boot dann 1961 von Stapel lief. Es ist inklusive Kluverbaum zwolf Meter lang und aus Stahl, denn dieses Material wurde von Bernard vorgegeben, wegen ≫minimaler Wartung und maximaler Starke≪. Er wollte auch ein Boot mit guten Eigenschaften am Wind. Seine bisherigen Boote waren traditionelle asiatische Fischerboote und Dschunken gewesen, die eigentlich gar nicht am Wind segeln konnten. Auserdem wollte er moglichst wenig Tiefgang, um die Korallensee erkunden zu konnen. Knocker hatte einen Kielschwerter vorgeschlagen, aber Bernard weigerte sich. Am Ende einigten sie sich auf einen Kompromiss und nur 1,5 Meter Tiefgang. Moitessier spezifizierte auch ein Spitzgattheck, welches, wie er meinte, die Kraft der von achtern anrollenden Brecher teilt und abschwacht, wenn man vor dem Wind ablauft. Auserdem wollte er ein hochgetakeltes Ketschrigg. Die Einrichtung war geraumig, mit zwei getrennten Kabinen, jede mit voller Stehhohe, obwohl die Achterkabine wegen des Spitzgatthecks nicht ganz so gros ausfiel. Diese wurde von Bernard vor allem als Stauraum genutzt, und so hatte er auch mehr Platz in der Hauptkabine, zum Essen, Navigieren, Schlafen. Wenn das Wetter besonders schlecht war, konnte er sogar von hier drinnen steuern – dazu musste er nur das winzige Steuerrad ausen von der Achse abziehen und es innen auf die gleiche Achse, die einmal durch das Schott hindurchging, wieder aufstecken.
Im Frühjahr 1962 wurde der nackte Rumpf der Joshua fertig und in ziemlicher Eile ausgebaut
Moitessier hatte eine Segelschule gestartet, und die erste Buchung war schon fur den 15. April! Ihr Hauptmast war ein schwerer Telegrafenmast, verstagt mit galvanisierten Drahten, die von der gleichen Telefongesellschaft erbettelt worden waren. Der Besanmast hatte ahnliche Ahnen. Fallen, Schoten und Festmacher wurden aus Mulltonnen gefischt und zurechtgespleist. Es gab keine Winschen an Bord. Stattdessen benutzte Moitessier eine Talje mit dem schonen Namen Attila, um seine Leinen durchzusetzen. Es gab auch kein Geld fur eine Maschine, und so wollte Bernard zwei Paar Riemen mit an Bord nehmen, bis sich einer seiner Freunde erbarmte und einen 7-PS-Zweitaktmotor spendete. Joshua wurde so gerade eben rechtzeitig fertig, doch am Ende der ersten Saison waren er und seine neue Braut, Francoise, von allem ziemlich erschopft. So planten sie lieber ihre Flitterwochen, die in diesem Fall etwa ausgeweitet wurden zu einer Weltumsegelung. 1963 segelten die beiden in Marseille los, um via Panama nach Tahiti zu segeln. Drei Jahre spater kamen sie zuruck, nonstop von Tahiti um das Kap Hoorn bis nach Alicante, Spanien. Damit hatten sie einen neuen Rekord aufgestellt, die bis dahin langste Strecke an einem Stuck in einem kleinen Segelboot. Dabei war die Reise alles andere als einfach. Moitessier beschrieb einen Sturm als den ≫Endzeitsturm≪. Sechs Tage lang hielten sie Orkanboen aus, die enorme Seen aufwarfen – ≫Brecher, 150 bis 200 Meter lang, die sich ohne Pause brachen≪. Moitessier brachte all seine Leinen und einen Seeanker aus, um das Boot zu bremsen, und trotzdem ware Joshua um ein Haar gekentert. Wie hatte der argentinische Alleinsegler Vito Dumas so etwas uberstanden, auf seiner legendaren Weltumsegelung in den Jahren 1942/43 um die drei grosen Kaps auf seinem nur gut neun Meter langen Doppelender Legh II? Wahrend Bernard mit dem winzigen Steuerrad kampfte, las Francoise die entsprechende Passage aus Dumas’ Buch vor: ≫Um der Wucht der Wellen zu entgehen, behalte deine Geschwindigkeit!≪
Es war unmöglich, die Leinen oder den Seeanker zurück an Bord zu hieven, also schnitt Moitessier kurzerhand alles los
Joshua wurde von der Last befreit, reagierte sofort auf das Ruder, um die Wellen im gunstigsten Winkel am Heck zu nehmen. Im folgenden Jahr wurde Francis Chichester der Erste, der allein und mit nur einem Zwischenstopp die Welt umsegelte. Das spornte naturlich viele Segler an, auch Moitessier, moglichst der Erste zu werden, der es ganz nonstop schaffen wurde. Dann ubernahm die britische Zeitung ≫Sunday Times≪ das Thema und machte ein Rennen daraus. Als die Zeitungsleute Moitessier ansprachen, explodierte er: ≫Dieser Vorschlag verursacht mir Ubelkeit. Es ist ein Sakrileg, diese ultimative Herausforderung in ein Rennen zu verwandeln!≪ Der Mann von der ≫Sunday Times≪ blieb unbeirrt und standhaft und schlug vor, dass die Regeln dahingehend geandert wurden, dass ein Teilnehmer auch von Frankreich aus wurde starten konnen. Und zum Erstaunen aller drehte sich Moitessier vollkommen um: ≫Ich werde so bald wie moglich von Toulon aus nach Plymouth segeln, von wo ich dann starten werde.≪
Es gab aber Bedingungen: ≫Sollte ich als schnellstes Schiff zuerst zuruckkommen, werde ich den Scheck ohne ein Wort des Dankes abholen, die Trophae versteigern und ohne weitere Worte fur die ›Sunday Times‹ ablegen. So werde ich meine Abscheu fur das Projekt Ihrer Zeitung offentlich zeigen!≪ In Plymouth kam Bernards Freund Loick Fougeron dazu, der mit seinem 9-Meter-Stahlkutter Captain Browne ebenfalls starten wollte. Dort freundeten sich die beiden dann noch mit zwei weiteren Teilnehmern an, Leutnant Nigel Tetley mit seinem 12-Meter-Trimaran Victress und Commander Bill King, der sich mit seinem Boot Galway Blazer II als Erster zum Rennen gemeldet hatte. Am 14. Juni startete Robin Knox-Johnston in Falmouth, aber Moitessier und Fougeron brachen erst am Donnerstag, den 22. August zur Aufholjagd auf. Am nachsten Tag ware noch besseres Wetter gewesen, aber unter keinen Umstanden ware Bernard an einem Freitag in See gegangen – da kam doch der alte Seefahreraberglauben durch. Joshua segelte wie der Teufel. Am Kap Hoorn hatte Knox- Johnston nur noch 17 Tage Vorsprung, Moitessier hatte ihm bis dahin also schon 40 Tage abgenommen. Die grose, bis heute leidenschaftlich diskutierte Frage lautet: Hatte Moitessier den Briten auf dem Weg zuruck nach England noch uberholt? Die Franzosen sind mehrheitlich der Meinung, dass dies so gut wie sicher gewesen sei, und es gibt in Frankreich sogar den Mythos, dass Bernard schon das Kap Hoorn als Erster umrundet habe.
Er blieb weitere 17 Jahre von seiner Frau Francoise und von Frankreich weg, wurde 1971 Vater eines Sohnes, Stephan, mit seiner neuen Partnerin Ileana. Und er segelte Joshua, bis sie 1982, wahrend sie in Cabo San Lucas, Mexiko, vor Anker lag, von einem Orkan an Land geworfen wurde. In dieser Nacht gingen insgesamt 26 Yachten verloren. Joshua bot ein trauriges Bild: Ohne Masten, verbeult, mit zertrummerten Luken und voller Sand und Seewasser lag sie da, tief im Sand vergraben. Das hatte ihr Ende sein konnen, hatten nicht der Einheimische Reto Filli und ein paar seiner Freunde festgestellt, dass der Rumpf an sich noch intakt war. Eine Woche lang buddelten sie einen Graben, um Joshua noch weiter an Land zu ziehen. Als dies vollbracht war, schenkte Bernard ihnen sein ladiertes Schiff und sagte ihnen, sie sollten es mit ihren eigenen Mitteln wieder flottmachen. Tatsächlich restaurierte Filli das Boot Und segelte es nach Seattle, wo die Amerikanerin Johanna Slee es kaufte. 1989 sah Virginia Connor die auffallige rote Ketsch in Seattle und schickte ein Foto von ihr an die franzosische Segelzeitschrift Voiles et Voiliers. Daraufhin flog der Direktor des franzosischen Maritimen Museums in La Rochelle, Patrick Schnepp, nach Amerika, um sie zu kaufen und nach Frankreich zurucktransportieren zu lassen. Dort wurde sie so weit wie moglich in ihren Originalzustand zuruckversetzt. Einzig die Metallmasten, die sie nach dem Orkan bekam, blieben. Auserdem wurde eine neue Maschine eingebaut, und die Achterkabine bekam einige Kojen, damit nun mehr Menschen die Gelegenheit bekommen, auf ihr zu segeln.
Davon abgesehen ist sie aber wieder genauso, wie Moitessier selbst sie einst segelte. Bei Joshua an Bord ist alles minimalistisch und simpel. Die Klampen an Deck bestehen aus gebogenen Rohrstucken. Verzinkte Ketten bilden den oberen Durchzug der Seereling sowie die unteren Stucke der Verstagung. Mittschiffs, in etwa dort, wo Moitessier auf See taglich seine Yoga-Ubungen durchfuhrte, steht noch der simple Lufter, mit einem Innenschlauch aus einem alten Reifen, der wie ein Elefantenrussel aussieht. Original ist auch der Bugspriet aus Stahlrohr. Als der einmal wahrend Moitessiers Einhand-Weltumsegelung verbog, zog er ihn mithilfe einer Talje an seinen Platz zuruck, die auch gleich das gebrochene Seitenstag ersetzte. So blieb es fur den Rest der Reise. Als wir vor Les Sables-d’Olonne Segel setzten, wehte eine schone kleine Brise, und Joshua sprang sofort darauf an. Dabei lief sie auch sehr hoch am Wind, viel hoher, als Robin Knox- Johnstons Suhaili es konnte. Und sie ging ohne Aufhebens durch die Wellen. Sie ist als Kutter getakelt und kann eine Wolke von Segeln setzen. Dazu hat sie genugend Ballast, um diese Segel auch noch bei ziemlich frischem Wind tragen zu konnen. Es gibt keine Rollvorsegel, alle sind mit Stagreitern angeschlagen und mussen von Hand geborgen werden, wobei auch jemand auf den Bugspriet klettern muss, um das Segel dort einzusammeln. Im Gegensatz dazu hat Suhaili einen Klapphebel, um die Spannung aus dem Vorstag zu nehmen, sodass man das Segel von Deck aus an Bord ziehen kann. Zuruck Richtung Hafen segelten wir auf einem raumen Kurs und liefen dabei 5 Knoten, ohne uns besonders zu bemuhen oder gar das Besanstagsegel zu setzen. Es war eine echte Freude, Joshua zu segeln, und nach dieser Erfahrung wundert es mich nicht mehr, dass es wohl einige Hundert Nachbauten gibt, die rund um den Globus verstreut unterwegs sind: Sie ist einfach eine fantastische Blauwasseryacht.
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Text: Barry Pickthall. Dieser Artikel erschien in der GOOSE No. 26