Nach all den Jahren ist sie noch immer in der gleichen Familie // Still in the same family after all those years ist, als wären wir im Jahr 1920 und Gäste auf der Yacht einer angesehenen friesischen Familie. Das Mittagessen wird im Cockpit serviert. Es gibt Zuckerbrot, Rosinenbrötchen mit Käse und Beerenburg, zum Glück ist auch Milch erlaubt. Aber diesmal sind wir nicht an Bord einer friesischen Yacht, nein, wir sind auf einem dieser modernen Schiffe mit einem Schwert, einer Schwertyacht. Ein neuer Bootstyp, der aus dem fernen Amerika herüberwehte. Warum der Ururgroßvater von Hessel, dem heutigen Eigner, sich jemals in ein Schwertboot verliebte, ist im Nebel der Zeit verloren gegangen. Aber es war glasklar, dass das Schiff seit 1909 fest in der Familie verankert war. Heute sind drei Generationen an Bord. Für Reinier, den Jüngsten, ist der erste Eigner der Stella Matutina sein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater, dessen Schwarz-Weiß-Foto im Deckshaus neben dem seiner Frau hängt. Für Onkel Sietze, der ebenfalls an Bord ist, war es der Großvater. Vor über hundert Jahren hätten der Skipper Pietersma und sein Maat das Mittagessen serviert. Sie hätten vielleicht ein Ei in der Miniküche im vorderen Teil des Schiffes gekocht oder gebraten. Aus verständlichen Gründen wurde der Brauch, mit einem Skipper zu segeln, jedoch aufgegeben. Außerdem besteht die Familie aus echten Seeleuten, die es vorziehen, selbst am Ruder zu stehen. Obwohl Hessel immer noch bewundernd vom letzten fest angestellten Skipper Jan Deen spricht, der es immer verstand, das Boot perfekt zu trimmen. »Ich habe nie gesehen, dass er mal heftig an der Pinne gezogen hat.« HERKUNFT Oerpake war ein Mann mit einem enormen Geschäftssinn, der das bestehende Familienunternehmen zu einem Imperium ausbaute. Er war ein besonderer Mann, wie jeder in der Familie anerkennt. Eigenwillig, stur und viel unterwegs, um Geschäfte zu machen. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde in Friesland alles noch auf dem Wasserweg erledigt. Aber neue Ideen bahnten sich ihren Weg. Oerpake las viel, vielleicht lernte er so die schnellen amerikanischen Yachten kennen. Aber er besuchte auch oft Amsterdam, wo 1888 bereits 17 Schwertboote in fünf Klassen gegeneinander segelten. Inzwischen hatte der Familienvater seinem Imperium Bauernhöfe und andere Unternehmen hinzugefügt. Er hatte sogar die renommierte Van-der-Zee-Werft in Joure im Visier. Dort stand sein Sohn Auke nun als Nachfolger des legendären Schiffbauers Eeltsjebaes am Ruder, am Standort der heutigen Jachtwerf De Jong. Auke hatte jedoch mit dem Bau von Eisen- und Stahlschiffen begonnen und erhielt den Auftrag für das Schwert. »Vielleicht wollte mein Ururgroßvater ihn besänftigen«, sagt Hessel. Dies wäre nicht die erste Schwertyacht in Friesland gewesen, denn die Meeuw mit Schwert segelte seit 1885 auf den friesischen Seen. Wenn man sich die Fotos der Meeuw im Buch »Nederlandse Jachten 1875–1945« (»Niederländische Yachten 1875–1945«) ansieht, versteht man sofort, woher Auke van der Zee die Inspiration für seine Konstruktionszeichnung hatte. Diese befindet sich noch immer in Sneek im Fries Scheepvaart Museum (Friesisches Schifffahrtsmuseum). Dort kann man auch die Maße ablesen: 10 Meter lang und maximal 3,38 Meter breit. Die Stella Matutina wurde 1909 getauft. Aber damals sah die Yacht ganz anders aus als heute. Nach 1919 wurde sie verlängert. Wenn man sich die Proportionen und die Position des Mastes vor der Verlängerung ansieht, wird klar, warum: Die Yacht muss ziemlich luvgierig gewesen sein, was man durch ein viel größeres Vorsegel zu beheben hoffte. »Damals und noch lange danach wurde die Stella ausgiebig genutzt«, sagt Hessel. »Oerpake nahm sie mit auf seine Inspektionsrunden der Bauernhöfe, aber auch auf viele Reisen mit Familie und Freunden. Alle liebten es mitzukommen, und wir waren viele, denn als gute katholische Familie hatten wir viele Kinder.« Es gibt noch viele Fotos aus dieser Zeit. Sie zeugen von glücklichen Ausflügen mit Damen, die mit Sonnenhüten geschmückt und in sommerliche weiße Kleider gehüllt waren. Die Mode änderte sich, das Boot wurde verlängert, doch was immer blieb, war das Schwert. Dennoch war es fraglich, ob die Stella in der Familie bleiben würde. Am Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmte die Wehrmacht die Yacht. Man fragt sich, was sie damit aus militärischer Sicht wollten, also hatte zweifellos ein deutscher Offizier die Idee, sich einmal wie ein Yachtbesitzer zu fühlen. Stella wurde zu einem Lager für beschlagnahmte Yachten, dem Veerhaven in Rotterdam, gebracht. Nach der deutschen Kapitulation begann die Familie sofort mit einer gezielten Suche nach ihrem verlorenen Boot. Am 26. Juni 1945 konnte die Hafenpolizei von Rotterdam melden, dass die Stella gefunden worden war. Um die Freigabe durch die Militärbehörden zu beschleunigen, wurde die offizielle Bürokratie mit Paketen des damals so knappen Tabaks geschmiert, und das half enorm. // ES weiterlesen 62 63
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