G O O S E - Y A C H T S ∙ I S L A N D S ∙ H O R I Z O N S ∙ N ° 5 6 ∙ S U M M E R 2 0 2 5

n Backbord grüne Wiese durchsetzt von rotem Mohn. An Steuerbord eine kleine Kapelle. Kurze hölzerne Stege im Flach, schmale Kähne, zwei kleine Motorboote. Dahinter drei sonnenbeschienene, erdfarbene Häuserfronten, davor deren gestikulierende Bewohner und ein paar Nachbarn von einer der umliegenden Inseln. Ein unerwartetes Idyll: Isola delle Vignole, eine der beiden Bauerninseln von Venedig. Dass es eine solche gibt, damit rechnet man als Normaltourist eher nicht. Denn denkt man an die lang gezogene Lagune an der adriatischen Küste, so denkt man an Venedig und an die Rialtobrücke, die schon die ganz Kleinen kennen. Prangt diese doch oft auf den hauchdünnen, fadenscheinigen Papierservietten der Eiscafés. Doch die Lagune ist nicht Venedig. Allerhöchstens ist Venedig ein Teil der Lagune. Ein Teil allerdings, der mit der geschützten Meeresbucht und all ihren Inseln wenig bis gar nichts gemein hat. Ein trubeliger und von Touristen gequälter Teil des ganzen bunten Baukastens auf blaugrünem Meer. Ganz besonders bunt geht es auf den Inseln zu, die für frisches Obst und Gemüse sorgen, für Artischocken, Salat und Tomaten. Für weitere Farbkleckse sorgen Zucchiniblüten und Kapuzinerkresse, auf der anderen Seite des schmalen Kanals. Einheimische nutzen ihn zum Wochenendausflug, »schlendern« mit ihren Motorbooten hier entlang, wie anderswo mit ihren Vespas über die Piazza oder zu Fuß entlang der Hafenpromenade. Boot fest und rauf aufs Vaporetto, den italienischen Wasserbus, ab nach Venedig, Abendatmosphäre schnuppern. Ganz entspannt auf die Lagune schauen, das Navigieren einmal anderen überlassen und sich dabei das erste Flach für die spätere Weiterfahrt auf eigenem Kiel merken. Paläste gucken, sich in Sackgassen verlaufen, Nebenwege erkunden, und die Erkenntnis, dass es nie einen direkten Weg in dieser Stadt gibt. Das »Straßenwirrwarr« innerhalb der Lagune entspricht dem in der Stadt. Die Orientierung auf dem Wasser fällt manchmal genauso schwer wie an Land, doch die Navigation ist eigentlich ganz leicht. Hölzerne Dalben helfen. Sie stehen wie Leitpfosten am Rand des Fahrwassers – immer drei Pfeiler, die mit Ringen zusammengefasst sind. Ihre Spitzen zeigen zur Fahrrinne. Mal stehen sie auf der einen Seite, mal begrenzen sie beide Seiten. Klingt einfach, ist es auch. Und dann gibt es noch die »Donna«. In der Mitte der drei gleich hohen Pfähle schaut bei ihr ein vierter höherer heraus, was das Pfostenbündel mit etwas Fantasie wie eine lang-berockte Dame ausschauen lässt. Sie steht ganz erhaben an Wegkreuzungen. Rote und grüne Farbfelder am Top zeigen an, wie sie passiert werden soll. Der Rest ist dann wie Autofahren. Briccole säumen das Fahrwasser. Dahinter ist es flach. Ein Fischerboot pendelt an einem Dalben. Der Fischer stapft durch das knöcheltiefe Wasser. Muscheln sucht er fürs Abendbrot und für den Markt. Langsam zieht die Landschaft vorbei. Der nächste Verkehrsknotenpunkt, dort wo der ruhige Canal Orfano im östlichen Teil der Insel Venezia in den Canale di San Nicolo mündet. Zahllose Vaporetti, die Ambulanz, Ausflugsboote, ein Schwimmkran – es ist ein Hetzen und Jagen, also einfach mitschwimmen, sich mitziehen lassen. Größer könnte der Kontrast zu den ruhigen Seitenkanälen und den Inseln wie Pellestrina, dem südlichen Lido oder eben Le Vignole nicht sein. Und so ist ein Törn durch die 550 Quadratkilometer große Lagune von Venedig so abwechslungsreich wie in kaum einem anderen Revier. Die Leinen werden entsprechend oft losgeworfen, immer wieder lockt das nächste Ziel. Stadtluft soll es wieder sein. Nach Venedig geht es jetzt auf eigenem Kiel. Den passenden Liegeplatz gibt es auf Sant’Elena, der östlichsten Insel der Stadt in Laufentfernung zum historischen Zentrum. In der Marina Santelena liegt man perfekt, ruhig und in einem ursprünglichen und grünen Stadtteil Venedigs. // weiterlesen 54 55

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