2021 Erdgeschichtlich ist Island im Gegensatz zu den Kontinenten ein sehr junger Erdteil, nur acht Millionen Jahre alt – ein Teenager quasi und noch ein wenig grün hinter den Ohren. Das sieht man am grün schillernden Moos an den Flanken der Vulkane. Weit oben im Nordatlantik liegt Island auf halber Strecke zwischen Grönland und Norwegen. Die Insel sitzt auf dem unterseeischen Feuerring. Eine unvorstellbar große Kraft, die die Erdplatten Eurasiens und Amerikas hier auseinanderdriften lässt. Durch die Bewegung der Kontinentalplatten entstehen tiefe Risse von Nord nach Süd, sie verlaufen längs durch Island und vergrößern sich unaufhörlich. Stetig entfernen sich bis heute die Kontinentalplatten Amerikas und Eurasiens, im Untergrund trafen sie einst aufeinander. Jedoch nicht die Plattentektonik, sondern die unvorstellbaren Feuerkräfte der Erde, tief im Inneren am Grund des Atlantischen Ozeans, ließen Island vor 10 bis 20 Millionen Jahren als rein vulkanische Insel entstehen. Spät – erst im 10. Jahrhundert – kamen die ersten wagemutigen Siedler aus Norwegen auf die unwirtliche Insel. Es waren Bauern, Fischer und Seefahrer zugleich. Angeführt wurden sie von dem aufmüpfigen und mutigen Leifur Eiríksson, sie wollten der Knechtschaft des Feudalherren, des »Schönhaarigen« Königs Olaf, entfliehen. Die riskante Überfahrt in offenen Segelbooten wagten 400 Familien. Sie gründeten auf Island eine neue Gesellschaft, mit neuen Regeln und bereits Ansätzen von Mitbestimmung. Das (frühe) Parlament der Wikinger, genannt »Althing«, tagte erstmalig 930 in Thingvellir, 40 Kilometer östlich von Reykjavík. Der sagenumwobene, in Sagas besungene Ort liegt im heutigen Thingvellir Nationalpark. GEOGRAFIE Der Herbst lässt die grellen Farben des kurzen nordischen Sommers wärmer erscheinen. Die Temperaturen fallen nachts schon bald unter den Gefrierpunkt. Jederzeit kann der Winter kommen und die Weiden der Schafe, Kühe und Pferde mit Schnee bedecken. Das Heu wird mit Traktoren rasch in die Scheunen gebracht, um genügend Winterfutter für die Tiere während des sieben, manchmal auch acht Monate dauernden Winters zu haben. Gebannt lausche ich den Flügelschlägen der großen wilden nordischen Schwäne. Es erinnert an das Quietschen schlecht geschmierter Räder. Die Singschwäne haben ihre Brutgebiete im Norden Islands verlassen. Sie fliegen während der Nächte, müssen rüber über die riesigen Gletscher, Vulkane und Geröllwüsten im Binnenland, wo sie nichts zu fressen finden, an die Südküste. In diesem Moment kommen die stimmgewaltigen Vögel nah an mir vorüber und lassen ihr helles Trompeten erklingen. Auf diese Rufe – »Wo seid ihr?« – ertönt die Antwort aus den geöffneten Schnäbeln und lang vorgestreckten Hälsen einer rastenden Schwanengruppe hinüber. HERBST 32
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